Deutschland muss schneller werden
Online Marketing

Deutschland muss schneller werden

Tilo Bonow ist mit seiner Agentur PIABO für die PR von zahlreichen Silicon-Valley-Unternehmen verantwortlich. Er empfiehlt deutschen Firmen, sich mehr bei US-Companies abzuschauen. 

von Hannes Hilbrecht
Tilo Bonow auf Asienreise. © PIABO PR

Tilo, PIABO ist DIE deutsche PR-Agentur für digitale Companies aus dem Silicon Valley und Europa. Ihr habt bereits für LinkedIn, Google, Silicon Valley Bank, Tinder, GitHub, Stripe, Evernote und viele mehr gearbeitet. Da fragt man sich: Wo wart Ihr vor zehn Jahren, wie fing alles an?
Vor zehn Jahren sind wir gerade zwei Jahre alt geworden, gegründet hatten wir uns im Mai 2006. Von Anfang an stand unsere Mission fest: Wir wollen Unternehmern Gehör verschaffen, deren Ideen nachhaltig Wirtschaft und Gesellschaft verändern. Damit begleiten wir sie aktiv zur Marktführerschaft. Sowas gab es zur Zeit unserer Gründung in Deutschland nicht. Keine Agentur kümmerte sich ernsthaft und mit passenden Produkten um diese schnell wachsenden Start-ups oder sogar Zukunftstechnologien. Dieses Segment wollten wir besetzen und hier klarer erster Ansprechpartner sein.

Wer waren Eure ersten großen Kunden?
MyVideo, das deutsche YouTube, und StudiVZ, das deutsche Facebook, wenn man es so sagen will.

Beide Unternehmen haben, rückblickend gesehen, nicht die beste Entwicklung genommen.
Beide Unternehmen waren damals in ihrem Segment Marktführer und mit Abstand die reichweitenstärksten Angebote ihrer Zeit. Dazu hat unsere Arbeit sicher beigetragen. Damit haben wir uns schon früh einen Namen als PR-Agentur für digitale Top-Unternehmen gemacht.

Reputation ist das, was andere über Dich sagen, wenn Du nicht im Raum bist.

Weil Du es ansprichst: Was gehört für Dich zu einem guten Namen?
Zuallererst ein gutes Produkt. Der Kunde muss klar verstehen und umreißen können, was er für sein Geld bekommt, auch im Vergleich zum Wettbewerb. Nur dann kann er die Arbeit richtig einordnen und bewerten. Es gibt ja den schönen Spruch: “Reputation ist das, was andere über Dich sagen, wenn Du nicht im Raum bist.” Das ist 1:1 auf Marken übertragbar: Was denkt, fühlt, weiß ein Investor, Kunde, Lieferant oder potenzieller Mitarbeiter über deine Marke, wenn er nicht gerade deine Werbung sieht.

Sind gute Bewertungen im Silicon Valley wichtiger als in Deutschland?
Eine gute Reputation zu haben, ist überall wichtig. Mein Gefühl ist allerdings, dass dies in Deutschland dramatisch unterschätzt wird. Gerade bei B2B Unternehmen höre ich oft: “Wir sind ja nur eine langweilige B2B Software”, “Wir wollen lieber unser Produkt für uns sprechen lassen” oder “Wir haben doch auch ohne PR gute Zahlen.” So etwas würde man in den USA nie sagen. Hier hat man großes Verständnis für die Kraft guter Kommunikation und für gutes Storytelling. Man weiß genau, welch starke Auswirkungen diese Dinge auf das Business haben – von besseren Sales-Conversion-Raten über Aufmerksamkeit in der Investoren-Community bis hin dazu, die besten Talente für sich zu gewinnen.

Das Silicon Valley ist riesig. Kann man sich dort überhaupt den “einen” guten Ruf erarbeiten?
Es ist ein Irrglaube, zu denken, das Silicon-Valley sei unsagbar groß und unübersichtlich. Die entscheidenden Köpfe kennen sich alle untereinander, sind eine Community. Dort tauscht man sich in hoher Frequenz aus, die Companies geben sich untereinander Tipps. Generell gilt: Wenn man gute Arbeit macht, wird man empfohlen, in den USA noch viel mehr als in Deutschland. Bei uns läuft mittlerweile alles über Empfehlungen, Mouth to Mouth. Wir haben noch nie klassischen Vertrieb gemacht und nehmen auch nur selten an traditionellen Pitches teil.

Hattet Ihr einen Growth Hack, eine geniale Wachstumsstrategie, um dahin zu kommen?
Wir haben uns auf einen Bereich fokussiert. Das heißt: Wir arbeiten nur in einer Branche, einem Themenfeld, und in der haben wir den Anspruch, die Besten zu sein und herauszuragen. Mit dem qualitativ besten Beratungsangebot, dem breitesten und zugleich tiefsten Netzwerk, den optimalsten Strategien und klarsten Produkten. Das ist uns gelungen.

“Klares Produkt” ist ein gutes Stichwort. Im Online Marketing kann man den Erfolg vieler Tätigkeiten genau messen. Die Conversion-Rate, die Verkäufe, Traffic. Für PR gibt es keine Google Analytics.
Bei uns geht es darum, Sichtbarkeit zu erzeugen, Marken aufzubauen, zu formen und zu schärfen. Das Potenzial einer innovativen und effektiven Markenkommunikation wird im Marketing unterschätzt. Im Schnitt braucht es mindestens fünf bis sieben Kontakte zwischen Marke und Verbraucher, ehe vom Kunden eine Kaufentscheidung getroffen wird. Doch je stärker die Marke in der Zielgruppe verankert ist, desto schneller wird diese Kaufentscheidung getroffen. Public Relations, Social Media und Content Marketing spielen hier eine entscheidende Rolle im Kommunikations-Mix. Leider glauben viele Tech-Unternehmen, allein mit Online Marketing und Suchmaschinenoptimierung auskommen zu können.

Hast Du einen aktuellen Case, der Dir besonders viel bedeutet?
Kürzlich hat einer unserer Kunden einen mehrseitigen Artikel in der brandeins bekommen. Kein großes Tech-Unternehmen, das bereits im öffentlichen Interesse steht, sondern ein sehr spannendes, aber eher noch unbekanntes Projekt. Da steckte viel und hochwertige Arbeit dahinter, die sich ausgezahlt hat.

Wie seid Ihr da vorgegangen?
Einer unserer wichtigsten Grundsätze ist, dass wir das Gießkannenprinzip ablehnen. Wir schicken Themen nicht an alle Redaktionen und hoffen, dass sich irgendjemand meldet. Wir wählen die Journalisten, die wir ansprechen, sehr gezielt aus. Die Journalisten, die selber Interesse am Thema haben, erzeugen auch das größere Interesse bei den Leserinnen und Lesern. Die Inhalte müssen auf offene Ohren stoßen und den Journalisten reizen, weil es für ihn eine gute Geschichte zu erzählen gibt. Die richtigen Stories an die richtigen Köpfe zu bringen ist eine unserer Kernkompetenzen.

Wir sind nicht kanalgetrieben. Wir denken zuerst an Zielgruppen.

Nun sind klassische Online-Medien auch nur noch ein digitaler Kanal unter vielen. Auf welche Channels konzentriert Ihr Euch in der Zukunft?
Wir sind nicht kanalgetrieben. Wir denken zuerst an Zielgruppen, und da wählen wir, je nachdem, wo wir mit dem Kunden hinwollen, den entsprechenden Weg. Erst das Ziel, dann der Weg. Der Weg ist dann eine Kombination aus Story, Kanal und Multiplikatoren in den jeweiligen Kanälen.

Wie bewertest Du die deutsche PR-Arbeit generell?
Ich habe bei Agenturen und auch Kunden oft das Gefühl, dass beide Partner noch im Jahr 2008 gefangen und nicht im Jahr 2018 angekommen sind. Es gibt Unternehmen, die arbeiten – typisch deutsch – seit Jahrzehnten mit einer Agentur zusammen. Dabei haben sich die Bedürfnisse und Anforderungen natürlich verändert, manchmal um 180 Grad. Sie passen gar nicht mehr zu den Stärken der Stammagentur. Trotzdem setzt man für unterschiedliche Aufgaben immer wieder auf die gleichen Ansprechpartner. In den USA ist es anders, da suchen Firmen ihre Partner themen- und aufgabenbezogener aus. Zudem gibt es in einigen großen deutschen Pressebüros und PR-Agenturen nicht den allergrößten Innovationsdrang. Die machen das, was sie immer gemacht haben im Glauben, “dass es irgendwie schon funktioniert”.

Was fehlt zum Innovationsdrang, sind es die Ideen, die Kompetenzen, der Weitblick?
Oft fehlt der Mut, etwas Neues zu wagen. Besonders traurig ist, dass so tolle deutsche Erfolgsgeschichten, die man wunderbar erzählen könnte, ungehört bleiben. Dass sie nicht erzählt werden, liegt aber nicht an den Journalisten. Es ist erschreckend, wie oft die zu uns sagen, nachdem wir einen Kunden von einer traditionellen Agentur übernommen haben, “Klingt ja toll. Komisch dass ich von denen noch nie gehört habe”. An meinem brandeins Beispiel von vorhin ist das gut zu illustrieren: Das Unternehmen hat fünf Jahre lang mit einer großen, renommierten PR-Agentur mit sehr gutem Budget gearbeitet. Ergebnis in 2017: eine Veröffentlichung. Wir haben allein im ersten Monat schon fünf generiert.

Woran machst Du Deinen Eindruck fest, dass viele deutsche Unternehmen in der PR nicht up to date sind?
Da muss ich nur in unser E-Mail-Postfach schauen. Sehr viele Unternehmen fragen uns zum Beispiel, ob wir für sie eine Pressemitteilung aufsetzen können. Sowas machen wir aber nicht isoliert. Erstens, weil Pressemitteilungen nur noch ein kleiner Teil der Kommunikationsarbeit sind. Fünf bis zehn Prozent, maximal. Und dann, weil wir davon überzeugt sind, dass man Marken nur langfristig entwickeln kann. Daher: keine Projekte. Genauso lehnen wir ab, wenn uns Unternehmen fragen, ob wir ihnen Social Media Kanäle einrichten. Das ist für mich der falsche Ansatz. Wir sind davon überzeugt, dass man Kommunikation ganzheitlich betrachten muss, um erfolgreich zu sein. Am Anfang steht immer eine gute Geschichte, nicht der Kanal.

In einem Satz. Was können deutsche Unternehmen von amerikanischen lernen?
Schneller und unkomplizierter zu sein.

Also sind deutsche Unternehmen eher langsamer und komplizierter.
Ein Beispiel: Wir sind seit mehreren Monaten mit einem deutschen Großkonzern einig, dass wir zusammenarbeiten wollen. Die Ansprechpartner in den für uns relevanten Abteilungen sind sehr kompetent und modern eingestellt. Für beide Seiten ist klar, dass wir loslegen wollen, lieber gestern als heute. Das Problem: Seit einigen Monaten warten wir auf die Akkreditierung in der Einkaufsabteilung, weil eine andere Abteilung die noch nicht freigegeben hat. Es gibt noch viel härtere Beispiele. Manchmal erscheint mir die deutsche Wirtschaft schizophren. Units eines Unternehmens wirken nicht zusammen, sondern gegeneinander. Das amerikanische Gegenbeispiel: Google. Da konnten wir innerhalb von 24 Stunden loslegen. Total unkompliziert, total fix. Und darauf kommt es in schnelllebigen Branchen nunmal an: Geschwindigkeit.

Was ist die Ursache für diese vermeintliche Schizophrenität?
In Deutschland braucht man für alles erstmal riesige Konzepte und Workshops, statt einfach mal zu machen und zu lernen. Daher kommt übrigens auch die schlechte Performance vieler deutscher Agenturen. Die sind gewohnt, ihren Kunden ständig Konzepte und Workshops zu verkaufen, weil das der deutschen Vollkaskomentalität entspricht. Das zieht sich. Wir hingegen sind ergebnisorientiert. Auf einer durchdachten, strategischen Basis.

Willst und kannst Du überhaupt für deutsche Kunden arbeiten? Große, digitale Companies sind in Deutschland Mangelware.
Durch die Digitalisierung sind bald die allermeisten Unternehmen von Technik, Software, Daten und digitalen Innovationen abhängig. Das heißt: Auch sie werden zu Tech-Firmen. Und ganz allgemein: Natürlich würden wir sehr gerne mit mehr deutschen Unternehmen zusammenarbeiten. Einige tolle Erfolgsbeispiele wie mit BMW, Bosch oder beispielsweise der Metro gibt es ja auch schon in unserem Portfolio. Aber wie schon beschrieben, muss sich da noch einiges tun. Allein der Prozess der Auftragsvergabe: Diese klassischen deutschen Pitches mit etlichen Runden, Präsentationen und ewigem Hin und und Her sind für uns nicht zeitgemäß. Wir sind Partner auf Augenhöhe. Wir treffen uns gern, um uns kennenzulernen bei einem sogenannten Chemistry Meeting, tauschen Gedanken aus, und schauen ob wir das gleiche Verständnis haben. Dann besprechen wir ein Angebot, und los geht’s.

Ich begeistere mich für Technologien und digitalen Fortschritt. Das ist das große Thema des 21. Jahrhunderts.

Wenn man für digitale Big-Player arbeitet, bekommt man da nicht auch Lust, irgendetwas zu erfinden?
Ich begeistere mich für Technologien und digitalen Fortschritt. Das ist das große Thema des 21. Jahrhunderts. Aber ich bin kein Programmierer. Wir investieren daher in junge Firmen, an deren Erfolg und künftige Bedeutung wir glauben. Wir geben also einen Anteil unserer Einnahmen zurück in die Community. Übrigens ein Kreislauf, der das Silicon Valley groß gemacht haben. Erfolgreiche Unternehmer re-investieren in Startups.

Was mir in Eurem Büro aufgefallen ist: Ihr habt große Kunden, aber Euer Team wirkt noch relativ klein. Wieso eigentlich?
Der Eindruck täuscht. Viele Mitarbeiter arbeiten nicht vom Büro aus, sondern von zu Hause, beim Kunden, sind auf Veranstaltungen oder irgendwo anders, wo öfters die Sonne scheint als hier in Berlin. Wir haben sehr hohe Ansprüche bei der Auswahl unserer Mitarbeiter. Da können wir gar nicht erwarten, dass alle aus Berlin kommen oder hierher umziehen wollen.

Was macht Dich optimistisch, dass sich daran etwas ändert?
Seit einiger Zeit kommen immer mehr Vertreter der Generationen von den Universitäten und Schulen, die digital aufgewachsen sind. Die wissen, wie man neue Kanäle entdeckt, sie nutzt, und haben vor allem ein Gespür für den entsprechenden Content.

Weil ich eingangs fragte, wo Du vor zehn Jahren mit PIABO warst: Wo willst Du in zehn Jahren sein?
Wir wollen klarer Marktführer für Technologiethemen und den durch Digitalisierung getriebenen gesellschaftlichen Wandel sein, sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich. Wir werden uns international noch stärker aufstellen, vor allem in Richtung Asien: Wir werden mehr mit den neuen digitalen Pionieren von dort zusammenarbeiten, aber auch viele tolle deutsche Tech-Firmen auf dem Weg an die Spitze begleiten.Wenn man sich mal die Liste mit den Top 20 der Technologieunternehmen anschaut, die seit 2000 gegründet wurden, ist dort nicht ein einziges europäisches vertreten. Hier wollen wir unseren Beitrag leisten, dass das ändert.

Zum Abschluss, Tilo. Welche Tipps kannst Du anderen geben?

  1. Fokussiert sein. Versuche nicht alle Bereiche abzudecken, sondern in einer Sache der Beste zu sein.
  2. Ein klares Produkt entwickeln, das Deine Kunden verstehen und wertschätzen.
  3. Vernetzen. Der Erfolg von PIABO beruht auch darauf, dass wir uns schnell ein Netzwerk erarbeitet haben, und zwar international. Bist du gut vernetzt, ist das für jeden Kunden attraktiv.
  4. Sich ab und zu abreagieren. Wenn ich den Kopf frei bekommen will, spiele ich Schlagzeug.
Die spannendste Frage vergessen?

Deine Frage an Tilo.

Wir leiten die besten Fragen an Tilo Bonow weiter. Die Antworten veröffentlichen wir anschließend hier unter dem Ursprungsartikel.

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In diesem Artikel
Hannes Hilbrecht

Hannes, Jahrgang 1993, gestaltet Content-Marketing-Projekte für die Digital-Agentur MANDARIN MEDIEN. Schrieb zuvor für Medien wie ZEIT ONLINE, den Berliner Tagesspiegel oder NDR.de. Ist nebenbei Fußballkolumnist. Erzählt jedem, den er trifft, dass er LeBron James interviewt hat. Für euch erreichbar unter: hannes.hilbrecht(ett)growsmarter.de

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