Einen USP gibt es nur noch über Persönlichkeit
Online Marketing

Einen USP gibt es nur noch über Persönlichkeit

Kai Hudetz ist Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung (IFH) und anerkannter Experte für E-Commerce. Er erklärt, wie man im Online-Handel einzigartig bleibt.

von Hannes Hilbrecht
Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung © Institut für Handelsforschung

Kai, vor zwei Jahren sagtest Du, die Ausmaße des E-Commerce ähneln einem Eisberg, von dem nur die Spitze zu sehen sei. Hat sich Deine Einschätzung verändert?
Im Gegenteil: Ich komme immer noch zu einer ähnlichen Einschätzung wie damals. Nur im Online-Buchhandel erkennen wir eine gewisse Stagnation. Ansonsten wächst die Bedeutung des E-Commerce in allen anderen Branchen weiter. Stand heute können wir noch nicht abschätzen, wie weit das Wachstum noch reichen wird.
 
In welchen Branchen wächst der Marktanteil des Online-Handels am stärksten und wo am wenigsten?
In den Bereichen Consumer Electronics und Fashion setzt sich das Wachstum auf hohem Niveau fort, bei Möbeln sehen wir starke Zuwachsraten des Online-Handels. Im Food-Bereich hingegen liegt der E-Commerce-Anteil erst bei zwei Prozent. Da tun sich die Anbieter noch schwer. Allerdings gibt es dort auch Unternehmen mit starken Investments. Große Wachstumspotenziale können wir für den Food-Bereich also noch nicht ausschließen.
 
Um ein bisschen von der Theorie wegzukommen – welches Unternehmen hat es in den vergangenen zwei Jahren besonders gut gemacht?
Ich finde die Entwicklung des Fashion-Anbieters “AboutYou” besonders beachtlich. Das Unternehmen ist in Deutschland sehr schnell gewachsen. Und das trotz enorm starker Konkurrenz und einem Unternehmen wie ZALANDO, das zum Zeitpunkt des Aufstiegs von “AboutYou” schon längst als Platzhirsch etabliert war.

Die kleine Lücke, die ZALANDO frei gelassen hat, hat AboutYou konsequent genutzt.

Wie hat AboutYou das geschafft?
Das Unternehmen hat in der Kundenansprache sehr vieles richtig gemacht, sehr konsequent auf Mobile und Social Media gesetzt. Sie haben die Marke AboutYou mit Erlebnischarakter und Personalisierung stark aufgeladen. Das gelang durch eine sehr präzise und anregende Ansprache der sehr jungen Zielgruppe, beispielsweise über verstärktes Influencer-Marketing. Die kleine Lücke, die ZALANDO frei gelassen hat, hat AboutYou konsequent genutzt.
 
Muss man als Underdog, so nenne ich mal Unternehmen hinter dem Marktführer, auf Fehler des großen Konkurrenten hoffen?
Es lässt sich ja im Nachhinein immer leicht feststellen, was ein Fehler war und was nicht. Ich persönlich glaube nicht, dass ZALANDO einen Fehler gemacht, sondern sich einfach auf andere Bereiche konzentriert hat. “AboutYou” nutzte eine Nische, die ZALANDO offen ließ, eben sehr gut für sich aus. Und genau darum geht es im E-Commerce heute: Nischen finden, USPs erarbeiten, die besten Produkte und den besten Service in einer speziellen Branche anbieten.
 
Hast Du weitere Beispiele für diese erfolgreiche Besetzung von Nischen?
Der Online-Optiker Mr. Spex. Die Plattform hat sich eine starke Marktposition erarbeitet, weil sie einen sehr guten und für den Konsumenten bequemen Service anbietet. Im Grunde geht es vor allem um Bequemlichkeit und positive Kauferlebnisse. Das Produkt muss natürlich stimmen – und im Internet so präsentiert sein, dass die Konsumenten einen klaren Mehrwert für sich erkennen. Mir fällt da als Erfolgsbeispiel noch Zooplus ein, das sich gegen starke Mitbewerber wie Amazon und Fressnapf im Online-Handel bewähren kann.
 
Wie haben es die beiden Unternehmen geschafft?
Das sind zwei durchaus unterschiedliche Strategien: Zooplus hat seine Kanalexzellenz permanent optimiert, ist mit seinem Online-Angebot extrem gut und schafft dadurch nach unserer aktuellsten "Customer’s Choice"-Studie die höchste Kundenbindung aller Top-Online-Shops in Deutschland. Die Stärke von Mister Spex ist hingegen die konsequente, kundenorientierte Verzahnung von online und offline mit vielen Partneroptikern und immer mehr eigenen Ladengeschäften. Der Kunde kann die Wunschbrille online in Ruhe aussuchen, die Anpassung und weiterer Service finden dann im Laden vor Ort statt.
 
Ein Thema, an dem es im E-Commerce kein Vorbei gibt, ist Amazon. Dabei ist die Suchfunktion nicht wirklich gut, die UX verbesserungswürdig und das Design auch nicht gerade preisverdächtig. Warum wurde Amazon so erfolgreich?
Was Du sagst, unterschreibe ich zu 100 Prozent. Auch unsere repräsentativen Konsumentenstudien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Nämlich, dass Amazon alles andere als eine perfekte Plattform ist. Doch das Unternehmen besticht zuallererst mit rund 300 Millionen verschiedenen Produkten. Das wahre Erfolgsrezept ist aber nicht die Breite des Angebots, sondern der Trust-Faktor. Die Kunden vertrauen Amazon als Marke. Sie haben das Gefühl, dass ihre Käufe sicher ankommen, wenn sie dort bestellen. Das liegt vor allem am starken Kundenservice, in den Amazon schon früh viel investiert hat. Wenn es mal ein Problem gibt, eine Bestellung nicht ankommt, beschädigt ist oder sich stark verspätet, ist Amazon besser als die anderen aufgestellt und performt auf hohem Niveau. Und natürlich funktionieren auch ihre Kundenbindungsprogramme Amazon Prime Video und Amazon Music hervorragend.
 
Kann man das Erfolgsrezept von Amazon in einem Satz destillieren?
Amazon denkt nicht zuallererst an die eigene Marke, an deren Wirkung oder Produkte – sondern an die Interessen der Kunden.

Es gibt viele Erfolgsgeschichten von Firmen, deren Umsätze explodierten, nachdem sie mit Amazon kooperiert haben.

Amazon wird vom Einzelhandel scharf kritisiert, gilt für viele Beobachter als Krake, die alles an sich reißt. Aber könnte Amazon nicht auch ein Wachstumsbeschleuniger für den Mittelstand sein?
Das ist Amazon - teilweise - ja bereits. Es gibt viele Erfolgsgeschichten von Firmen, deren Umsätze explodierten, nachdem sie mit Amazon kooperiert haben. Wichtig ist aber auch hier: Es braucht ein starkes Produkt und eine clevere Strategie. Man muss Amazon etwas bieten – und das sind eben neue Angebote, die diese globale Plattform bereichern. Langfristig bringt es nichts, bei Amazon etwas zu verkaufen, was alle anderen auch anbieten können. Das funktioniert nachweislich nicht.
 
In der brandeins war vor kurzem ein interessanter Beitrag über ein Start-Up aus San Francisco, das in klassischen Einzelhandel-Läden keine Produkte mehr verkauft, sondern nur noch präsentiert. Zum Anfassen und Angucken für die Kunden. Als weiterer Kanal für Online-Verkäufe. Hat das auch in Deutschland Zukunft?
Das Projekt ist sehr spannend – sowohl für das Start-Up als auch für die Kunden. Dass es sowas in Deutschland in der Form schon gibt, bezweifle ich. Beispielsweise große Kauf- und Warenhäuser mit viel Verkaufsfläche sollten sich mit solchen Ideen aber durchaus näher beschäftigen.

Den Kunden in seinem Handeln beschränken zu wollen, ist ein fataler Fehler.

Es gibt auch immer wieder Schlagzeilen darüber, dass Einzelhändler ihren Kunden das Fotografieren von Waren verbieten wollen. Sie wollen verhindern, dass der Kunde das mit dem Verkäufer besprochene Buch im Internet kauft.
Ich bin immer wieder überrascht, dass dieses Thema so präsent ist. Für die Händler birgt das immer präsente Smartphone der Kunden eine große Herausforderung – aber den Kunden in seinem Handeln beschränken zu wollen, ist ein fataler Fehler. Das treibt ihn aus dem Laden und das für immer. Auch der Versuch von einzelnen Läden, mit Störsendern zu verhindern, dass sich Kunden im Internet mit Preisvergleichen beschäftigen, hat nicht funktioniert.
 
Was können Händler dann überhaupt noch tun, um sich on- und offline gegen Amazon zu behaupten?
Kundenorientierten Service bieten sowie gut und persönlich beraten. In der heutigen Zeit, in der fast jeder digitale USP kopiert werden kann, ist das der einzige Weg. Die Kunden müssen die Produkte gerne bei Ihnen und bei Ihren persönlichen Ansprechpartnern im Shop kaufen. Weil sie Ihnen vertrauen, weil sie gute Erfahrungen mit Ihrem Service oder Ihren Mitarbeitern gemacht haben. Die Kundenberater, die Servicekräfte am Telefon oder eben der klassische Einzelverkäufer sind die wichtigsten Influencer der jeweiligen Marke. Und dann geht es natürlich, wie immer, um das Produkt: Im Idealfall sind Sie die einzigen, die dieses konkrete Produkt im Shop haben.
 
Henoch Förster, Macher der Erfolgs-Marke Bolzplatzkind, hat einen kleinen Online-Shop und seine private Handynummer ist das Servicetelefon. Gibt es bald nur noch die ganz großen und die ganz kleinen?
Dieser Trend wird sich verstärken. Aber so fatal, wie von Dir beschrieben, sehe ich es nicht. Auch mittelständische Shops haben die Möglichkeit, ihr Angebot zu vertikalisieren. Auch sie können guten Service bieten, Nischen besetzen und authentisch für konkrete Produkte und Services stehen. Das zeigen viele Beispiele. Die ganz Großen haben es natürlich leichter, die Digitalisierung des Unternehmens voranzutreiben, sie verfügen eher über das notwendige Kapital und die personellen Ressourcen.
 
Was wäre für Dich die nächste wichtige Innovation?
Die Customer Journey, da muss man sich nichts vormachen, ist bei vielen Web Shops schon fast bis zum Limit perfektioniert. Wo ich noch sehr viel Innovationsbedarf sehe, ist die “letzte Meile”. So nennen wir den letzten Teil des Versands an den Kunden. Ich würde mir mehr Transparenz wünschen. Das kann bedeuten: Dass man sein Paket in Echtzeit verfolgen und notfalls die Zustellung aufschieben kann, weil man doch spontan nicht zuhause ist, um die Lieferung entgegen zu nehmen. Auch eine Bewertungsfunktion für Paketboten, finde ich, wäre eine interessante Option.
 
Kai, zum Abschluss unsere Standardfrage: Was war für Dich die growsmarteste Entscheidung Deines Arbeitslebens?
Da fallen mir zwei Sachen ein. 1999, als wir das damalig das heutige ECC Köln ECC steht für E-Commerce-Center Köln und gehört zum Institut für Handelsforschung.gegründet haben mit dem klaren Fokus auf E-Commerce, hatten wir nur einen Internetanschluss für das gesamte Büro. Trotzdem haben wir an unsere Zukunftsprognose geglaubt – auch nach 2001, als die erste dot.com-Blase geplatzt war. Heute zeigt sich: Unsere Erwartungen an den Online-Handel, die wir damals hatten, wurden nicht nur erfüllt, sie wurden weit übertroffen. Und an zweiter Stelle unserer frühen Bemühungen, ein Netzwerk aufzubauen. Mit Kunden, die wir über neutrale, fundierte Studienergebnisse und hochwertige Netzwerkveranstaltungen an uns banden. Wir starteten mit 12 Unternehmen im ECC-Club, heute sind es weit über 300. Viele unserer ersten Kunden vertrauen uns immer noch und arbeiten immer intensiver mit uns zusammen. Das spornt uns zusätzlich an, immer besser zu werden.

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Wir leiten die besten Fragen an Kai Hudetz weiter. Die Antworten veröffentlichen wir anschließend hier unter dem Ursprungsartikel.

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Hannes Hilbrecht

Hannes, Jahrgang 1993, gestaltet Content-Marketing-Projekte für die Digital-Agentur MANDARIN MEDIEN. Schrieb zuvor für Medien wie ZEIT ONLINE, den Berliner Tagesspiegel oder NDR.de. Ist nebenbei Fußballkolumnist. Erzählt jedem, den er trifft, dass er LeBron James interviewt hat. Für euch erreichbar unter: hannes.hilbrecht(ett)growsmarter.de

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