Special: Die Zukunft des Content Marketings im Sport?
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Special: Die Zukunft des Content Marketings im Sport?

Ein US-Magazin ist vielleicht das beste Vorbild für die Kraft von Content Marketing im Sport. Nur wieso kupfert das in Deutschland niemand ab? Eine Vision in acht Kapiteln.

von Hannes Hilbrecht
© Photo by youngmin seo on Unsplash

Über den Autor: Hannes Hilbrecht hat einige Jahr als Sportjournalist für den Rundfunk, für Leitmedien, für Lokalzeitungen und als Vereinsblogger gearbeitet und unter anderem LeBron James one-to-one interviewt. Er glaubt: Eine mutige Marke sollte den nächsten Schritt in der Sportberichterstattung wagen. 

1. Ein Großereignis in den sozialen Medien

Mats Hummels wechselt von Bayern München zu Borussia Dortmund. 

Dieser Transfer ist ein Großereignis in den sozialen Medien. 2,7 Millionen Follower hat der Klassensprecher des deutschen Profifußballs allein auf Instagram. Als der BVB den Neuzugang verkündete, gab es alleine unter dem ersten Facebook-Beitrag mehr als 100.000 Reaktionen und 15.000 Kommentare. Bei Instagram waren es auf dem BVB-Kanal über 500.000. Und das ist nur die Spitze eines sehr mächtigen Reichweite-Eisbergs.

Das öffentliche Interesse kurbelt den Medienzirkus an. Es wird spekuliert und gemutmaßt. Über die Beweggründe des Wechsels. Warum, fragen sich viele, macht der Mats das? Andere analysieren, ob Influencerin-Ehefrau Cathy aus dem hippen München mit nach Dortmund ziehen wird. Es gibt starke, klare Analysen, aber viel häufiger wird im Dunkeln gestochert. 

Doch was, wenn es auf diesem Gipfel der Aufmerksamkeit einen authentischen, ehrlichen Text gegeben hätte? Einen Artikel von einem Autor, der die Situation besser beschreiben und erklären könnte als jeder andere? Von Mats Hummels zum Beispiel.

2. Der Players Tribune

In den USA gibt es dafür bereits das passende Medium – “The Players Tribune”. Wie der Name verrät, ist es eine Publikation von und für Sportler. Zahlreiche Aktive sind an dem Online Projekt sogar finanziell beteiligt. Die besten Sportler der Welt schreiben dort Beiträge. Nicht ein Praktikant mit Kartoffelchipskrümeln am Revers, der für 350 Piepen geknechtet wird, erklärt da, wer die besten Football-Receiver der Welt sind. Es ist ein Profisportler, ein Top-Verteidiger der NFL, der erläutert, was seine Rivalen besonders gut können. Er sammelt seine Eindrücke nicht vor dem Fernsehen oder auf einer hohen Tribüne, sondern atmet den Schweiß des davonlaufenden Gegners auf dem Feld.

Der Players Tribune macht mehr als Sport. Er ist manchmal politisch, manchmal nerdy, sehr oft sehr privat. Ryan Suter, ein knorriger Eishockey-Bär, schrieb beispielsweise einen Text über den Mann, der ihm das Eishockey beigebracht hatte und eines Tages in der Eishalle umkippte. Das Herz. Es war Suters Vater.

Andere Texte erreichen durch die Prominenz oder das öffentliche Standing der Autoren sehr viel Aufmerksamkeit und Relevanz für die wichtigen Themen. Profibasketballerinnen schrieben über die unfassbar schlechte und ungleiche Bezahlung in ihrer Organisation. Andere Sportlerinnen äußerten sich zu selbst erlebten sexuellen Missbräuchen in ihrer Jugend. Natürlich ist das kein klassischer Journalismus. Aber es ist eine Form der Berichterstattung, die Aufmerksamkeit generiert und die Leser oft herausragend unterhält.

Der Players Tribune hat mittlerweile sehr viel Geld durch Investoren eingenommen. Alleine in der letzten Finanzierungsrunde waren es 40 Millionen Dollar. Er finanziert sich über beworbene Beiträge und Kampagnen. Powerade, Porsche und viele andere Marken aus dieser Liga sind dort aktiv, sponsern Beiträge und steuern Kampagnen. Im Dezember 2018 verzeichnete der Tribune 2,6 Millionen Unique Viewers. Das ist in der US-Sportwelt bei weitem nicht Spitze, aber für ein Sportmagazin ohne minütlichen Nachrichtentakt vielversprechend.

Kann die Machart des Players Tribune nicht Vorbild für die Zukunft des Content Marketings im Sport sein?

3. Und in Deutschland?

Gastbeiträge von Sportlern gibt es inzwischen auch im Kosmos der Bild und der Süddeutschen. Man muss sie nur gut suchen. Der plausibelste Grund dafür: Wer ernsthaften journalistischen Ansprüchen nachgeht, befürchtet bei Gastbeiträgen zurecht Parteilichkeit auf Seiten des Autors oder der Autorin. In jedem Fall tragen die Texte immer den Geruch der Anbiederei. Richtig problematisch wird es, wenn der Gastbeitrag-Autor irgendwann in die Rolle des Kritiker schlüpfen muss.

Journalismus und ein Magazin von Sportlern und Trainern – das verträgt sich nur in schmalen Dosen. Doch die können wirken.

Vor über zwei Jahren habe ich gemeinsam mit einem Fußballtrainer eine Story für den Norddeutschen Rundfunk geschrieben. Karsten Neitzel hatte eine Drittligamannschaft über Jahre aufgebaut, und nun, ein Dreivierteljahr nach seiner Entlassung, stand sie vor der unmittelbaren Erfüllung des großen Ziels: dem Aufstieg in die 2. Bundesliga. Ein anderer Trainer, der Neitzels Mannschaft übernommen hatte, formte aus dem vorhandenen Potenzial ein beinahe unschlagbares Siegerteam. Wie, fragte ich Neitzel, verkraftet man diese Enttäuschung? Schmälert es nicht das Selbstvertrauen, wenn ein anderer erfolgreicher ist als man selbst? Gönnt man ihm diesen Aufstieg überhaupt, wo sich doch niemand mehr an den eigenen Anteil erinnern wird?

Aus den Antworten auf diese selten gestellten Fragen wurde ein Text mit hoher Reichweite.

Sowas hatten die Fußballfans noch nicht oft gelesen: einen intimen Beitrag von einem Ex-Trainer. Enttäuscht und fair zugleich. Der Artikel nahm besonders in Norddeutschland reichlich Schwung, erreichte viel mehr Leser als sonst. Das organische Seeding in zahlreichen Foren (im Sport funktioniert das herausragend) und die exorbitant guten Reaction Rates in den Social Media kurbelte die Verbreitung ordentlich an. Als Kiel einen Tag nach der Veröffentlichung des Artikels tatsächlich aufstieg, brüllte ein siegestrunkener Kieler Spieler noch auf dem Spielfeld in die Kamera: “Das ist auch für dich, Kalle.”

Gänsehaut.

Für Verlage ist so eine Plattform aus mehreren Gründen schwerer stemmbar.

4. Die Chance für Marken

"Für Verlage ist so eine Plattform, wie wir sie uns vorstellen und seit einem Jahr skizzieren, aus mehreren Gründen eher schwerer stemmbar", sagt Kevin Friedersdorf, Gründer der Agentur Mandarin Medien und Herausgeber von GrowSmarter, in einem Interview mit BLOG-TRIFFT-BALL. .

Die Gründe sind naheliegend: Print hat es eh schwer, weil es sich kaum noch finanziell lohnt, die initialen Aufwände für ein Heft extrem hoch sind und die Risiken auch. Eine Online-Publikation kann nur der finanzieren, dem die Reichweiten verlässliche Werbeeinnahmen einspielen. Paywalls wirken bisher nicht konstant gut, auch wenn PayPal und andere E-Wallets wichtige Grundlagen dafür schufen, dass sich das irgendwann ändern wird.

Eine Marke mit großem Interesse an Sport und den entsprechenden Zielgruppen kann flexibler und mit viel mehr Planungssicherheit operieren. Firmen, die ihr Geld in anderen Bereichen verdienen wie die Telekom oder Nike, sind nicht auf Werbeeinnahmen angewiesen. Sie können langfristiger denken als Verlage, die einen schnellen Return of Invest brauchen.

Eine Sportmarke arbeitet bereits intensiv mit aktiven Autoren zusammen. Das US-Unternehmen Garmin (Uhren und Navigationstechnik für Sportler, Outdoorreisende, Marine, Luftfahrt, usw.) veröffentlicht seit einigen Monaten konstant Gastbeiträge. In enger Zusammenarbeit mit MANDARIN MEDIEN. Die besten Ultraradfahrer der Welt oder Sportler aus abenteuerlichen Nischen geben in Zusammenarbeit mit Redakteuren einen Einblick in ihre persönliche Welt. Das ist nicht nur für die Audience der Marke interessant, sondern wertet das gesamte Magazin #beatyesterday.org weiter auf, weil es auch zu einer Plattform der Athleten wird.

Doch nicht nur die Authentizität und die Außenwirkung der Gastbeiträge ist ein großer Vorteil. Auch das Vertrauen, das die Protagonisten zum Text entwickeln, weil sie wissen, dass sie selbst die Entscheider über ihre eigenen Beiträge sind, gibt einen qualitativen Schub. Sie haben das letzte Wort. Das bringt sie dazu, sehr viel detaillierter Fragen zu beantworten als in normalen Interviews.

Der Best-Case für erfolgreiches Content Marketing in der deutschen Sportunterhaltung: der Streaminganbieter DAZN. Das "Netflix für den Sport" bietet starke Dokus und kommt über Videoformate den Spielern sehr nah. 

5. Der Need auf Spielerseite ist längst da

Ein paar gängige Vorwürfe gegen die Athleten auf Eis, Rasen oder Holzparkett: Fußballspieler und andere Profisportler sind nicht besonders redselig. In Interviews verschießen sie nur leere Worthülsen. Die Pressestellen der Vereine glätten die Aktiven mit dem Bügeleisen bis zur Unkenntlichkeit. Das stimmt alles. Schuld ist aber nicht nur die eine Seite.

Schon immer, aber besonders seitdem jeder Klick im Web wichtig ist, berichten viele Redaktionen mit harten Bandagen. Es geht nicht immer um die passendste Analyse oder Überschrift, sondern um den Titel, der die meiste Aufmerksamkeit erregt. Clickbaiting mit wilden Gerüchten oder harte Polemiken sind Alltag. Die großartigen Analysen, die es dann bei SZ, ZEIT und Spiegel gibt, die fair sind und hart, erreichen nur einen Bruchteil der Leser.

Ein Beispiel, wie schwer es Sportler manchmal haben können, erlebte ich vor fünf Jahren hautnah. Ich lief durch die Mixed-Zone bei einem Fußballdrittligisten. Die Heimmannschaft hatte soeben mit 0:1 verloren. “Schuld” war ein individueller Fehler des Abwehrchefs. Er verlor den Ball vor dem Gegentor schludrig an seinen Gegenspieler. Nach dem Spiel eilte der “Schuldige” sichtlich gefrustet und ohne Kommentar für die Meute mit den Mikrofonen in die Kabine.

Ein Boulevardjournalist freute sich offenkundig. Für ihn war die Story klar: Spieler X vermasselt das Spielt und stellt sich dann nicht der Verantwortung. Als der Spieler dann doch noch zum Interview erschien, nachdem er einen Hinweis von einem Mitspieler erhielt, was ihm der Boulevard morgen bereithalten könnte, veränderte sich die Story. Nun war Spieler X nicht mehr der feige Verantwortungsdrücker. Er war der Spieler, der ziemlich dünnhäutig auf die Fragen der Medienvertreter reagierte.

Das ist eine absolute Microstory. Doch sie kommt in der Sportwelt hundertfach vor. Wöchentlich. Von Bundesliga bis Landeskasse. Fast alle Sportler und Trainer, mit denen ich zu tun hatte, beklagten oft, nur noch ein Spielball zu sein. Egal was sie sagen, es wird oft so gedreht, dass es in die Story passt. Bei jeder Pressekonferenz werden dutzende Erklärungen abgegeben, aber oft schaffen es nur Fetzen in die Zeitungen und Onlineportale. Doch welcher Fan schaut sich Pressekonferenzen an?

Kritik ist wichtig. Niemand mit ein bisschen Verstand wird das bestreiten. Doch den Protagonisten fehlen im medialen Schaufeld Instrumente zum Gegensteuern. Instagram und Facebook sind kaum die richtigen Kanäle.

Die richtige Plattform könnte mutigen Spielern, Trainern und Athleten mit Grip eine Bühne geben, um Debatten zu prägen oder gar neu zu führen. Auf Gerüchte zu antworten oder spannende Entscheidungen zu erklären – auch rückwirkend. Und für die vielen Protagonisten, die sehr wohl eine alternative Haltung haben zu Politik, Geld und Sportverbänden, gäbe es endlich einen Kanal, um sich mitzuteilen.

6. Der Need der Fans

“Spieler sind bald wichtiger als Vereine”, sagt der gut vernetzte Fußballtrainer und Sportunternehmer Stefan Kohfahl, der für Real Madrid die europaweiten Fußballschulen aufbaut und koordiniert. Der Trend ist bereits für jeden sichtbar, wir brauchen nicht einmal ein Fernglas oder einen Experten, um das zu sehen. Als Cristiano Ronaldo von Real Madrid zu Juventus Turin wechselte, brachte er nicht nur Tore mit nach Norditalien, sondern auch Millionen Anhänger schwappten mit über das Mittelmeer von Spanien nach Italien. Ablösesummen sind seit einem Jahrzehnt nicht mehr nur Investments in Tore, sondern auch in den Absatz von Merchandise und Eintrittskarten.

Der Starkult hat sich durch die sozialen Medien noch verstärkt. Ein Instagrampost aus dem Lieblingsrestaurant auf Ibiza ist für manche Fans wichtiger als ein Tor ihrer Herzensmannschaft. Sie wollen den Stars näher kommen. Was früher die Unterschrift auf einer Autogrammkarte war, ist nun hundertfach intensiver eine Instagram-Story.

Fans lechzen nach Insides. Ein deutsche Plattform, die grob Anleihe am Konzept des Players Tribune nimmt, würde diese Entwicklung mit Tiefe füllen. Nicht nur, dass die Einblicke in individuelle Erfolgsgeschichten intensiver wären. Sie könnte auch notwendige gesellschaftliche Debatten um neue Multiplikatoren bereichern.

Ein Text von einem prominenten Fußballspieler, der das Gebaren internationaler Fußballverbände kritisieren würde, hätte sicher mehr Potenzial, die Zielgruppe aufzurütteln als der beste Leitartikel in der FAZ. Eine deutschsprachige Variante des Players Tribune mit Haltung wirkt über Emotionalisierung und Markenbindung hinaus. Sie wäre womöglich eine Bereicherung für die Gesellschaft.

7.  Was ein deutscher Players Tribune können sollte

Seit über einem Jahr stellen sich Kevin Friedersdorf, der Herausgeber von GrowSmarter, und ich uns die Frage, was wir beim amerikanischen Role Model besser machen würden.

Vier unserer Kerngedanken

  1. Der deutschsprachige “Players Tribune” müsste noch viel diverser werden. Nicht nur die Topstars und Athleten sind Player, auch der Vereinspräsident eines Kreisligisten hat womöglich eine eigene Geschichte zu erzählen, die berührt oder polarisiert, die viele etwas angeht. Auch Amateure brauchen eine Stimme. Oft sogar sehr dringend.
  2. Mehr Transparenz. Natürlich schrieb Ryan Suter, der Eishockey-Bär, seine Story nicht alleine. Er hat sie erzählt, ein anderer schrieb sie für ihn auf. Das ist nicht verwerflich, solange es im Text wenigstens erwähnt wird.
  3. Die neue Plattform muss authentisch sein und frei. Gerade im Sport hat beinahe jeder Profi einen Sponsor, der ihn mit Schuhen oder reichlich Taschengeld ausstattet. Ein solches Projekt darf, damit es gut wird, keine Grenzen zwischen Rivalen setzen. Ein Adidas-Athlet, der eine Story hat, müsste diese theoretisch auch auf einem Nike-Magazin erzählen dürfen.
  4. Am allerwichtigsten wäre aber eine Plattform, die Vernetzung nicht nur vorgaukelt. Sondern ein Ort ist, an dem sich Aktive und Fans tatsächlich nahe kommen können. Sei es über Kommentare oder interaktive Beitragsformate.

8.  Was diese Vision Marken bringen kann

Diese Vision könnte für jede Marke, die im Sport aktiv ist, eine neue Dimension des Content Marketings erschließen.

Die Reichweiten sind hoch, wenn die Geschichten gut sind und Profis mit hohen Follower-Zahlen sie zusätzlich teilen.

Debatten können initiiert werden, und das stärker und lauter als mit klassischen Werkzeugen der Werbung.

Sie bietet Unternehmen die Bühne, Markenbotschafter langfristig aufzubauen, zu entwickeln, oder überhaupt aufzuspüren.

Sie bringt hochbezahlte Sportler und Fans näher zusammen.

Vor allem aber lassen sich herausragende Geschichten erzählen, die für hunderttausende Leser vor allem eines wären: Endlich mal was Neues. Endlich mal eine völlig neue Perspektive.

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Du möchtest mehr erfahren?

Welche Chancen Agenturgründer Kevin Friedersdorf im Content Marketing für den Sportbereich sieht – und warum so eine Bühne schneller entstehen könnte als manche vermuten: Hier geht es zum Interview.

Du hast Fragen? Wir haben noch viele Antworten, die nicht in den Text passten. Schreib uns doch eine Mail an hallo@growsmarter.de.

In diesem Artikel
Hannes Hilbrecht

Hannes, Jahrgang 1993, gestaltet Content-Marketing-Projekte für die Digital-Agentur MANDARIN MEDIEN. Schrieb zuvor für Medien wie ZEIT ONLINE, den Berliner Tagesspiegel oder NDR.de. Ist nebenbei Fußballkolumnist. Erzählt jedem, den er trifft, dass er LeBron James interviewt hat. Für euch erreichbar unter: hannes.hilbrecht(ett)growsmarter.de

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