5 Sekunden für 450 Jahre Müll – Irrsinn!
Online Marketing

5 Sekunden für 450 Jahre Müll – Irrsinn!

Seit 26 Quartalen wachsen die Umsätze vom Wassersprudlerhersteller Sodastream konstant zweistellig. Wir sprachen mit dem Marketing-Chef Julian Hessel über den richtigen Mix und politische Kampagnenarbeit.

von Hannes Hilbrecht
Julian Hessel verantwortet in Deutschland und Österreich das Marketing für Sodastream. © Julian Hessel

Julian, um mal ganz flapsig zu starten: Du hast sicher gute Laune?
Ja, die haben wir in unserem Team fast jeden Tag. Weil wir ein Produkt bewerben dürfen, von dem wir überzeugt sind und hinter dem wir stehen.

Was ich eigentlich meinte: Seit 26 Quartalen wachsen die Umsätze von Sodastream zweistellig. Ohne eine Unterbrechung. Warum seid Ihr so erfolgreich?
Wir verkaufen ein Produkt, das für den Kunden drei sehr wesentliche Vorteile bringt. Da ist zum einen die Convenience, die Bequemlichkeit. Immer mehr Menschen haben keine Lust mehr, Getränkekisten zu schleppen. Und es ist nunmal praktisch, wenn jederzeit gesprudeltes Wasser im Haushalt verfügbar ist. Auf der anderen Seite steht der Umweltaspekt. Menschen wird bewusst, was der Müll und damit auch Plastikflaschen unserem Planeten zumuten. Pro Haushalt werden im Jahr tausende Einwegflaschen verbraucht. Wir bieten eine Alternative, das zu verhindern. Und dann ist da noch der preisliche Vorteil: Der Liter Leitungswasser kostet 0,2 Cent, Mineralwasser im Supermarkt teilweise im Schnitt  50 Cent pro Liter. Diese Vorteile lassen sich sehr gut vermarkten.

Wie verteilt sich da die Gewichtung? Heißt: Wie viele sprudeln, weil sie es bequem finden, wie viele wollen sparen, und wie viele tun es aus ökologischen Gründen?
Das lässt sich auch mit Studien schwer beziffern. Was wir feststellen und sogar messen können: Die zweite Gruppe, die aus ökologischen Motiven unser Produkt kauft, nimmt rasant zu. Das sind vor allem junge Konsumenten, aber nicht nur. Ich erinnere mich gut, als Barack Obama vor ein paar Jahren treffend sagte: "Das ist die erste Generation, die den Klimawandel spürt. Und die letzte, die ihn aufhalten kann." Das ist vielen jungen Menschen durch Obama und den Blick in unsere Meere bewusst geworden.

Du sprachst von Messbarkeit.
Wir können diese Entwicklung mit Zahlen nachvollziehen, weil wir zum Beispiel in den Suchanfragen sehen, wie viele Nutzer Sodastream mit der Vermeidung von Plastik und Müll in der Umwelt verbinden.

Konzentriert sich Euer Marketing auf umweltpolitische Agenden?
Wir sind uns sehr bewusst, dass es gerade verschiedene Movements und Wellen gibt, die für uns bedeutend sind. Zum Beispiel der seit einigen Jahren stetig zunehmende Trend, dass immer mehr Menschen einen gesunden Lebensstil anstreben. Dazu gehört es auch, viel zu trinken. Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen 59 Prozent mehr trinken, wenn sie genügend Wasser vorrätig haben. Und mit unseren Sodastream-Geräten sorgen wir dafür, dass gesprudeltes Wasser fast endlos vorrätig ist – ohne dass viele Kisten geschleppt werden müssen. Mit unseren Online-Kampagnen wollen wir diese Movements begleiten.

Bleibt das Problem, dass Mineralwasser oft aus Prinzip dem Leitungswasser vorgezogen wird.
Es ist eine sich hartnäckig haltende Legende, dass der Körper die Minerale braucht, die über das "Mineralwasser" aufgenommen werden. Das ist von grundauf falsch, denn wir trinken Wasser nur, um unseren persönlichen Wasserhaushalt auszugleichen. Minerale nimmt unser Körper durch feste Nahrung auf. Nur als kleiner Exkurs: Um die Mineralienmenge eines Käsebrotes aufzunehmen, müsste man, übertrieben gesagt, schon fast eine Badewanne voll "Mineralwasser" trinken. Dass die Mineralien auf den Flaschen aufgeführt sind, ist nicht mehr als ein guter Marketing-Gag.

Das ist aus Marketing-Sicht ungünstig und unbefriedigend, aber für das Produkt ist das toll.

Wie sieht eigentlich der durchschnittliche Sodastream-Kunde und eure Zielgruppe aus?
Diese Frage soll ich oft beantworten, kann es aber leider nicht. Ehrlich gesagt, haben wir keine präzise Antwort darauf. Das ist aus Marketing-Sicht ungünstig und unbefriedigend, aber für das Produkt ist das toll. Weil wir eben fast jeden damit ansprechen können. Ob Studenten oder junge Berufstätige ohne Auto, vierköpfige Familien oder Senioren-Paare – es gibt für jede Altersgruppe gute Argumente für unsere Geräte.

Wie steuert Ihr denn Euer Online Marketing? Umso größer die Zielgruppe, desto mehr Kanäle, die für Euch relevant sind.
Für uns ist ein ausgeglichener Mix entscheidend. Wir müssen vor dem YouTube-Video präsent sein und gleichzeitig vor dem Tatort am Sonntagabend. Und zwar nicht nur, weil wir da verschiedene Altersgruppen erreichen und Aufmerksamkeit generieren. Sondern weil es wichtige Etappen der Customer Journey sind.

Warum ist die bei Euch bedeutender als bei anderen Produkten?
Ein Wassersprudler ist ein erklärungsbedürftiges Produkt. Zwar amortisieren sich die Kosten für unsere Sprudler schnell, wenn man sie genug nutzt und auf das teure Wasser aus dem Supermarkt verzichtet – doch bleibt unser Produkt eine kostspielige Anschaffung. Deshalb müssen wir Kunden, die durch Werbung im Fernsehen oder im Internet aufmerksam werden, mit Informationen abholen. Sie recherchieren beispielsweise nach der Qualität des Leitungswassers und der Sicherheit der Gasflaschen, mit denen unsere Geräte das Wasser sprudeln.

Müsst Ihr mit Eurem Marketing mit Mythen aufräumen?
Wir profitieren davon, dass immer mehr Verbrauchern bewusst wird, wie gut das Leitungswasser in Deutschland ist. Bei immer mehr Menschen kommt an, dass das Wasser sicher und unbedenklich ist und sogar noch viel mehr: Dass kein anderes Lebensmittel so häufig und intensiv überprüft wird. Das bestätigen Institute wie Stiftung Warentest immer wieder.

Welcher Bereich ist wichtiger: Digitale Werbung im Netz oder die Klassiker aus Fernsehen und Print?
Als noch relativ junger Marketer glaube ich, dass die Online-Werbung auch bei Sodastream alle anderen Bereiche überholen kann. Momentan ist das jedoch noch nicht eindeutig der Fall.

Mouth-to-Mouth. Weiterempfehlungen sind für uns sehr bedeutsam. Das heißt: Wir setzen stark auf Influencer.

Welchen Marketing-Kanal favorisierst Du für Sodastream-Produkte?
TV ist nach wie vor das Tool, über das wir die meisten Konsumenten von der Verwendung eines Sodastreams überzeugen können, aber: Mouth-to-Mouth wird für uns immer wichtiger. Weiterempfehlungen sind also für uns sehr bedeutsam. Das heißt: Wir setzen stark auf Influencer. Was nicht ausgeklammert werden darf: Natürlich dürfen die Social Media wie Facebook und Instagram dann nicht fehlen. Weil das die Orte sind, an denen Menschen positive Erfahrungen teilen und Empfehlungen aussprechen. Über Facebook und Instagram lässt sich auch schnell eine große Reichweite für starke umweltpolitische Themen aufbauen.

Hast Du einen Lieblings-Influencer?
Hannes Jaenicke, den Schauspieler. Aber nicht nur, weil er unserer Tatort-Zielgruppe bestens vertraut ist. Sondern weil er für die Themen, die auch wir vertreten, von Herzen brennt. Wir mussten ihn vor Interviews oder Veranstaltungen nie briefen. Im Gegenteil: Er ist stets besser informiert als wir. Er ist nicht nur Influencer, der unser Produkt mit seinen Followern teilt. Sondern auch ein Ratgeber, der immer eine gute Idee hat, was wir besser machen können.

Influencer-Marketing genießt nicht den besten Ruf. Wie findet ihr die richtigen Multiplikatoren?
Wir suchen nach Glaubwürdigkeit. Unsere Influencer sollten hinter unserem Produkt und der Agenda stehen. Alles andere ergibt keinen Sinn. Wir achten also nicht nur auf die Follower-Anzahl, sondern vor allem auf die Haltung des Influencers zu unseren Themen. Sie ist wichtiger als das Erscheinungsbild, damit unsere Werbung authentisch ist.

Ein toller Influencer, wachsende Umsätze, dazu zweifellos ein Produkt, das die Welt sauberer macht. Habt Ihr überhaupt Probleme?
Auch wenn man es sich anhand der Zahlen nicht vorstellen kann: Wir raufen uns sehr oft die Haare.

Warum?
Weil wir nicht verstehen, warum nicht in jedem Haushalt ein Sprudler steht. Wir verkaufen ein Produkt, das das Leben praktischer macht. Und normalerweise sind wir Deutschen durchaus dafür bekannt, Dinge zu mögen, die uns den Alltag erleichtern. Nur beim Wasser anscheinend nicht. Noch immer werden lieber Wasserkisten geschleppt und dann wieder als Pfand zu den Automaten gebracht, als bequem von zuhause zu sprudeln.

Was ist denn die große Herausforderung?
Die bekannten Getränkehersteller haben in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel in die Entwicklung ihrer Marken gesteckt. Und sie haben noch immer sehr viel Geld, ihre Produkte zu bewerben. Wir müssen mit deutlich weniger Geld lauter sein als sie und fundierte Aufklärungsarbeit leisten. Und dann ist da noch der Kampf gegen die Windmühlen, also auch gegen die Politik, die kaum etwas unternimmt.

Ich höre Frust.
Deutschland ist der wichtigste wirtschaftliche Motor in Europa und gleichzeitig das Land mit dem meisten Verpackungsmüll. Ich verstehe nicht, warum dieses Land immer noch Einwegflaschen und andere Plastikprodukte erlaubt. Nur zum Verständnis: Wir nutzen diese kleinen, weißen Plastikrührstäbchen im Kaffee vielleicht vier, fünf Sekunden lang. Dann schmeißen wir sie weg. Bis die Natur sie zersetzt hat, dauert es 450 Jahre. Das heißt auch: Jede Einweg-Plastikflasche, die wir in die Natur geworfen haben, ist immer noch da. Keine einzige ist zersetzt. Fünf Sekunden Nutzen für 450 Jahre Müll – das ist Irrsinn. Wir alle sollten von der Regierung und Gesetzgebung erwarten, dass es da die entsprechenden Verbote und Auflagen gibt – ähnlich wie bei der Zigarettenwerbung. Dort haben die abschreckenden Bilder und das Werbeverbot im Fernsehen viel Erfolg gehabt. Ohne politischen Druck wird sich nichts oder nur zu wenig verändern.

Reglementierungen sind, wie Du sagst, eine Sache der Politik. Was kann Sodastream selbst dafür tun?
Mit unseren Marketing-Maßnahmen auf diese Missstände hinweisen und mit unseren Produkten dafür sorgen, dass weniger Wasser in Plastikflaschen gekauft wird. Und wir müssen Alternativen finden und entwickeln. Ich kenne es ja selbst von Flughäfen oder von Bahnhöfen: Oft hat man, wenn man unterwegs ist, kaum eine Alternative zum Plastik. Da sind auch wir als Unternehmen gefragt.

Also wird Sodastream im Online Marketing künftig noch politischer.
Uns geht es nicht nur um Werbekampagnen und Spots, die wir konzipieren und verbreiten lassen. In Berlin haben wir vor kurzem einen Erdball aus Kunststoff in einem Plastikflaschenteppich in der Spree versenkt – in unmittelbarer Nähe zum Bundestag. Wir wollen damit Druck machen und mit den Stunts öffentliche Wahrnehmung provozieren. Das ist uns gelungen.

#GoodbyePlasticBottles - Schauspieler Hannes Jaenicke, Plastic-Planet-Regisseur Werner Boote und Umweltbloggerin Louisa Dellert demonstrieren gemeinsam mit Sodastream in Berlin gegen den Plastikwahnsinn. © obs/Sodastream GmbH

Was ist die wichtigste KPI bei so einen Stunt?
Wir haben uns sehr gefreut, dass wir durch diese Aktion nicht nur mit Politikern ins Gespräch kamen und mediale Reichweite aufbauten. Wir haben vor allem viele Menschen, die sich für die Umwelt einsetzen, von unserem Produkt überzeugt. Wir merken, dass wir seit diesem Protest von dieser Gruppe stark weiterempfohlen werden. Weil unser Produkt nicht nur gut für die Umwelt ist, sondern auch die gleichen Interessen und Werte teilt.

Was mir da einfällt: Eure Werbevideos mit deutlichem Game-of-Thrones Einschlag. Wie sehr seid ihr als Marketing-Team für Deutschland und Österreich an den internationalen Kampagnen beteiligt?
Da Österreich unter den Top-5 und Deutschland das wichtigste Absatzgebiet in den 46 Sodastream-Märkten ist, dürfen wir auf internationaler Ebene mitdenken. Was uns beim Spot "Walk-of-Shame" gelungen ist: Wir konnten mit der Kulisse von Game-Of-Thrones weltweit ein junges Publikum ansprechen und crazy sein, aber gleichzeitig hatte der Spot auch die perfekte Aussage. Dass es eine Schande ist, wenn man Plastikflaschen nach Hause schleppt. Noch heute, einige Zeit nach dem Spot, trendet er in den sozialen Medien gut. So markieren Sodastream-Nutzer ihre nicht sprudelnden Freunde und Bekannten gerne als "Schlepper".

Um zum Abschluss noch mal kurz über Dich und Deine Arbeit zu sprechen: Hast Du einen Hack, wie Du Ideen sprudeln lässt?
Ich glaube an den Satz: ”Motivation macht Inspiration”. Es ist von Vorteil, wenn du an das glaubst, wofür du arbeitest. Das habe ich an jeder meiner Karrierestationen gespürt und hatte das Glück, noch nicht Werbung für Tabakunternehmen machen zu müssen. Das stelle ich mir schwieriger vor.

Ihr wurdet vor einiger Zeit von "true fruits" mit dem Award "Eier aus Stahl" ausgezeichnet. Welchem Unternehmen würdest Du so einen Preis verleihen?
Nicht nur weil wir den Preis von ihnen bekommen haben, würde ich "true fruits" Nic Lecloux, Gründer von true fruits, gab uns inspirierende Einblicke in seinen "Saftladen". Interview lesen. auch so einen Preis verleihen. Ich finde es bemerkenswert, wie originell, mutig und mit welcher Konsequenz die Smoothies beworben werden. Das heißt: Selbst wenn es Gegenwind gibt, weichen sie nicht einfach von ihrer Idee der Außendarstellung ab.

Ich glaube an den Satz: ”Motivation macht Inspiration”.

Und weil wir diese Frage jedem Interviewpartner stellen: Was ist für Dich die smarteste Entscheidung, die Du je getroffen hast?
Es ist immer am smartesten, wenn man die Kunden fragt und sehr viel Wert auf deren Wünsche und Meinungen legt. Anhand ihrer Bedürfnisse sollte ein Produkt ent- und weiterentwickelt werden. Bei Sodastream konzentrieren wir uns deshalb sehr auf das Kundenfeedback und holen uns im Entwicklungsprozess viele unabhängige Meinungen von den Kunden ein. Generell gilt für mich der gern zitierte Satz: "Der Köder muss dem Fisch schmecken. Nicht dem Angler."

Als letzte Frage, weil es Januar ist: Was hast Du dir für Sodastream vorgenommen?
Da unsere Geräte ohne Strom funktionieren, was viele Kunden zunächst überrascht, die nach dem Auspacken ungläubig nach einem Kabel suchen, wollen wir uns weiter um eine Energiespar-Plakette bewerben. Die könnten wir dann auf die Kartons drucken. Insgesamt ist es uns aber am wichtigsten, Deutschland und Österreich von Plastikflaschen zu befreien und jeden Haushalt mit einem Wassersprudler auszustatten. Dafür stehe ich morgens auf.

In diesem Artikel
Hannes Hilbrecht

Hannes, Jahrgang 1993, gestaltet Content-Marketing-Projekte für die Digital-Agentur MANDARIN MEDIEN. Schrieb zuvor für Medien wie ZEIT ONLINE, den Berliner Tagesspiegel oder NDR.de. Ist nebenbei Fußballkolumnist. Erzählt jedem, den er trifft, dass er LeBron James interviewt hat. Für euch erreichbar unter: hannes.hilbrecht(ett)growsmarter.de

1 Kommentare
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Laura Lutz
17.12.2022
In welchem Jahr wurde das Interview durchgeführt?

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