Mit alten Strukturen brechen
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Mit alten Strukturen brechen

Frauen in Führungspositionen und gelebte Diversität eröffnen neue Perspektiven. Doch dafür müssen verkrustete Strukturen aufgebrochen werden. Warum, erklärt Thea Feuerstein von Porsche.

von Thea Feuerstein
Thea Feuerstein arbeitet für Porsche-Motorsport © Porsche Digital Lab

"She must be made of steel, the way she can stand anything without complaining."

Das sagte Kameramann Carl-Axel Söderström über Clärenore Sinnes, die als "Europas erfolgreichster weiblicher Rennfahrer" Geschichte schrieb. In den Jahren 1928 und 1929 fuhr sie mit ihrem Beifahrer Söderström als erste Person um die Welt: 46.758 Kilometer, 25 Monate, 23 Länder. Über Frankfurt, den Balkan nach Sibirien, durch die Wüste Gobi nach China und Japan, über die Anden, durch die USA und dann mit dem Schiff zurück nach Europa.

Und natürlich: viele Dinge gingen schief während dieser Reise.

Doch Clärenore überraschte ihren Mitstreiter und alle Beobachter immer wieder mit ihrer Courage, Stärke und ihrem Abenteuergeist. Charaktereigenschaften, die in dieser Zeit nicht oft einer Frau zugesprochen wurden. Auch heute würden viele Menschen diese Eigenschaften nicht als typisch feminin einordnen.

Alte Strukturen einreißen

Vor ihrem Trip um die Welt war Clärenore Sinnes eine erfolgreiche Rennfahrerin, die bis zum Jahr 1927 insgesamt 17 Wettkämpfe gewann. Ihr folgte Annie Bousquet, die die Motorsportbühne im Jahr 1952 betrat - in diesem Blogbeitrag meiner Kollegin Anja Hendel aus dem Porsche Digital Lab kannst du mehr über sie erfahren.

Seitdem wird die Geschichte des weiblichen Motorsports von vielen inspirierenden, starken Frauen fortgesetzt, die mit veralteten Geschlechterstereotypen aufgeräumt haben. Eine von ihnen ist Christina Nielsen, die als erste Frau eine große SportsCar-Meisterschaft in Nordamerika gewinnen konnte.

Es ist fast hundert Jahre her, dass die ersten weiblichen Pionierinnen ihren Grundstein im Motorsport gelegt haben. Dennoch wird der Automobilsektor weitgehend von Männern dominiert, ohne zu berücksichtigen, dass Frauen frühzeitig zu seiner Entwicklung beigetragen haben, nicht nur im Sport, sondern auch im Maschinenbau: So war es beispielsweise die Erfinderin Mary Anderson, die 1903 das erste funktionierende Scheibenwischersystem entwickelte und das Fahren sicherer machte.

Ich bin Ingenieurin und arbeite mittlerweile viele Jahre in der Automobil-Industrie. In meinem Beruf, ist die Situation nicht so dramatisch wie im Motorsport, aber auch nicht wirklich rosig. Obwohl sich der Anteil der weiblichen Erstsemester-Studenten positiv entwickelt - im Wintersemester 2017/18 waren es 25 Prozent, fünf Prozent mehr als 2010/11 – steigt die Zahl sehr langsam und längst nicht in allen MINT-Fächern MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik

Während sich eine überdurchschnittliche Anzahl von Frauen in Biotechnologie (55 Prozent) und Gesundheits-Technologie (45 Prozent) einschreibt, sind es nur 22 Prozent im industriellen Ingenieurwesen und Management. Im Maschinenbau ist nur einer von zehn Studierenden an deutschen Universitäten weiblich.

Vom MIT lernen

Als Pionier in vielen Bereichen zeigt dass Massachusetts Institute of Technology (MIT) wieder einmal, dass die Dinge auch anders sein können. An der renommierten Universität ist die Hälfte aller Ingenieurswesen-Studenten weiblich. Und das liegt an der Selbstreflexion und der Entschlossenheit, einen grundlegenden Wandel vorzunehmen: Eine lange Zeit wurde das Institut für Maschinenbau als Männerdomäne am MIT betrachtet.

Um mehr Frauen anzulocken und die Hemmschwellen zu senken, überdachten sie ihr Recruiting und machten klar: Unsere Maschinenbau-Studiengänge sind natürlich keineswegs nur für Männer. Zum Beispiel, indem sie eingeschriebene Studentinnen zu Testimonials machten, die zeigten, wie das Campus-Leben und Lernen aussieht. Gewissermaßen wurden diese Studentinnen auf dem gleichen Weg Vorbilder wie die Rennfahrerinnen Clärenore, Annie oder Christina. Sie klärten mit Vorurteilen auf und zeigten anderen Frauen: Wenn ich das kann, kannst Du das auch.

Was wir vom MIT lernen können (unter vielen anderen Dingen), ist, dass das Interesse an MINT-Fächern keine Frage des Geschlechtes ist. Es sind nicht die Frauen und Mädchen, sondern alte und verkrustete Strukturen, die sie entmutigen, ihre Karrierewege zu verfolgen.

Der einzige Weg, um diese Geschlechter-Ungerechtigkeit zu lösen, ist Training und Bildung. Auf der einen Seite ist es notwendig, Frauen zu ermutigen, ihrer Leidenschaft für MINT zu folgen und einen Job im Techniksektor anzunehmen. Die Gleichung ist ziemlich simpel: Wir können nur mehr diverse Führungsteams in Technik und Automobilunternehmen haben, wenn es mehr qualifizierte Frauen gibt, die Management-Positionen übernehmen können.

Die Unternehmenskultur muss überdacht werden

Auf der anderen Seite gibt es noch enormen Nachholbedarf auf den Chefetagen der Unternehmen. Besonders etablierte Manager müssen neue Wege der Führung lernen: Strukturen, Arbeitsmodelle und die Unternehmenskultur müssen überdacht werden, damit Flexibilität, Agilität und lebenslanges Lernen unterstützt wird. Kreativität muss erleichtert und wir, die Mitarbeiter, müssen motiviert werden, auf lange Zeit unser Bestes zu geben. Aus meinem Blickwinkel ist genau das das Gerüst für den künftigen Erfolg von Firmen, die im "War of Talents" den Employer Brand verbessern und, auf lange Sicht, Innovationen ermöglichen.

Unternehmen können sich nicht länger leisten, "nein" auf diese Fragen zu antworten.

Aber solche weitreichenden Wandel verlangen ein fundamentales Neudenken - nicht nur auf dem Management-Level, sondern im kompletten Unternehmen, von "blue collar" to "white collar". Eine wichtige Voraussetzung dafür ist Diversität - in der Addition mit dem erklärten Willen zum Wandel.  Denn Diversität wird begleitet von neuen Perspektiven, die komplett neue Ideen ermöglichen können. Deshalb sind Frauen in der Technik und insbesondere in Führungspositionen kein Selbstzweck, sondern helfen Unternehmen bei ihrer Transformation.

Wir alle müssen uns verändern und bewegen, und wir tun das besser zusammen, in einem Team, begleitet von qualifizierten, schlauen Köpfen mit verschiedenen Hintergründen, Perspektiven und Erfahrungen. Wenn wir sie zusammenführen, können wir eine ganzheitliche Sicht auf Probleme im eigenen Unternehmen sowie bei Kunden und Partnern gewinnen.

Wenn Dich die Argumentation nicht überzeugt, lass mich eine zentrale Sache ergänzen: Unternehmen mit einem hohen Anteil von Frauen in Managementpostionen sind wirtschaftlich erfolgreicher.

Wenn sie es können, kannst du es auch

Seien Sie offen für Veränderungen. Und, meine Damen, schaut euch inspirierende Frauen wie Clärenore Stinnes und Mary Anderson genauer an. Wenn sie es können, kannst Du es auch! Die Automobilbranche muss keine Männersache sein - so viel kann ich von meiner Arbeit und den großartigen Kollegen der Porsche AG und des Porsche Digital Lab berichten.

Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst in englischer Sprache auf dem #NextLevelGermanEngineering Blog von Porsche und wurde mit freundlicher Genehmigung der Autorin und Porsche für eine deutsche Zweitverwertung zur Verfügung gestellt. Jetzt Artikel im Original lesen

In diesem Artikel
Thea Feuerstein

Thea Feuerstein ist Einkäuferin bei der Porsche AG und Gewinnerin des „PANDA Automotive“ Awards 2017.

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