Wir sind schnell konsumierbar
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Wir sind schnell konsumierbar

Lukas Diestel und Jonathan Löffelbein haben aus miesen Rezepten ein Social-Media-Märchen namens "Worst of Chefkoch" gemacht. Wie ist das ohne Werbebudget gelungen? Ein Interview.

von Hannes Hilbrecht
Jonathan Löffelbein (l.) und Lukas Diestel haben Spaß mit schlechtem Essen. © Marvin Ruppert

Lukas, zur brennendsten Frage: Wer steckt hinter einer Facebook-Seite, die schauderhafte Rezepte von Chefkoch.de teilt?
Ich habe bis Mitte letzten Jahres noch studiert, Anglistik und Amerikanistik mit Schwerpunkt Sprachwissenschaft. Jonathan studiert derzeit noch Rhetorik in Tübingen. Er ist hin und wieder als Poetry Slammer unterwegs, ich spiele ab und zu bei Theaterprojekten mit. Ansonsten versuchen wir uns vermehrt mit dem Schreiben über Wasser zu halten. Im Moment arbeite ich auch noch in einer Küche und in einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen.

Wir haben in der Redaktion stutzen müssen: Sind eure Rezepte echt oder, wie würde Donald Trump sagen, sind sie Fake News?
Die Rezepte gibt es, auch wenn man es kaum glauben mag, wirklich. Zumindest haben wir noch nie ein Rezept auf Chefkoch eingestellt. Und wir achten auch darauf, dass die Rezepte, die wir posten, vor der Erstellung unseres Blogs auf Chefkoch eingestellt wurden. Ob die Autoren der Rezepte sie "ernsthaft" oder als Witz bei Chefkoch eingestellt haben, können wir nicht sagen.

Die Seite ist komplett organisch gewachsen.

Wie kam es zu dieser Facebook-Seite?
Irgendwann im vorletzten Sommer haben wir uns eine Zeit lang gegenseitig absurde Rezepte von Chefkoch hin und her geschickt. Dann saßen wir in einem Biergarten in Freiburg und haben uns gedacht, dass es eigentlich nicht sein kann, dass es von den Rezepten keine Sammlung gibt. Dann ging alles ganz schnell. Einen Blog und Kanäle für Facebook und Instagram kann man in Sekunden aufsetzen. Rückblickend können wir sagen: Wir hatten ein glückliches Gespür für guten Content.

Ihr seid, so sieht es zumindest aus, organisch gewachsen.
Die Seite ist komplett organisch gewachsen, ja. Es ist ja für uns größtenteils ein Hobby, also haben wir sowieso von Anfang an gesagt, dass wir da kein Geld reinstecken wollen. Zumal es auf lange Sicht eher unvorteilhaft ist, sich Likes oder dergleichen einzukaufen.

Was war der Einfall, die Idee, die euch besonders viel gebracht hat?
Was unsere Seite relativ erfolgreich macht, ist, dass sie wahnsinnig schnell konsumierbar ist. Man versteht schon beim Namen, worum es geht. Wenn man den Humor teilt, bekommt man im besten Fall einmal am Tag einen schnellen Lacher. Wer Lust hat, liest sich die Texte durch. Doch die Seite funktioniert auch für Leute, die unsere Texte nicht lustig finden, und sich dann eben nur die Bilder angucken. Die sprechen häufig auch ohne Worte für sich.

Wie viel Zeit steckt ihr in die Entwicklung eurer Community?
Schwer zu sagen. Wir wollen auf alle Nachrichten antworten. Wenn wir Zeit haben, lesen wir schon auch mal die Kommentare und antworten auch auf manche. Ohnehin denken wir, dass sich eine Community am besten von alleine entwickelt. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass genau das passiert. Wir wollen einfach nur guten Content produzieren und zum Austausch anregen.

Ihr habt 143.000 Facebook-Follower, seid eine der am schnellsten wachsenden deutschen Facebook-Communities. Schon darüber nachgedacht, diesen Erfolg zu monetarisieren?
Klar, darüber denkt man nach. Wir wussten aber früh, dass wir auf jeden Fall keine Lust auf Werbung oder gesponserte Posts für irgendwelche Firmen haben. Für uns ist wichtig, dass wir die komplette künstlerische Freiheit für jeden Post bei uns behalten. Damit ist es schnell vorbei, wenn man anfängt, über Post und andere Produkte zu reden. Dann müssten wir unsere Texte anpassen, unseren Stil verändern. Das wollen wir nicht.

Was wäre euer Wunschmodell, um diese Seite auch finanziell zu nutzen?
Wir schauen gerade, ob ein Worst of Chefkoch Rezeptbuch mit unseren liebsten, schlechten Chefkochrezepten eine Möglichkeit ist. Jeder kann sich überlegen, ob er das vielleicht kaufen oder verschenken möchte. Die Seite könnte dann so bleiben wie sie ist.

Wow: Das Rezeptbuch ist mittlerweile erschienen - einen Blick ins Buch gibt es auf amazon.de.

Ein Rezeptbuch. Das ist alles, was man aus so einem Reichweiten-Giganten machen kann?
Wir haben auch einige Anfragen für eine Art Worst of Chefkoch Show bekommen. Das klingt spannend und wir werden es definitiv probieren.
 
Uns ist aufgefallen: Ihr habt ca. 700.000 Facebook-Fans weniger als die offizielle Chefkoch-Seite, dafür erreicht ihr deutlich mehr User mit euren Posts. Warum funktioniert ihr so viel besser?
Da gibt es mit Sicherheit mehrere Sachen, die zusammenspielen. Wir sind ja noch relativ "jung" und waren gewissermaßen ein Hype des vorletzten Sommers. Außerdem funktionieren humoristische Inhalte unabhängig von dem sozialen Medium einfach gut. Das wichtigste bei Facebook sind Engagements, also User, die liken oder noch besser, kommentieren. Das geschieht bei witzigen Inhalten sicherlich schneller als bei einem Rezept.

Was ist euer Pluspunkt im Vergleich zu Chefkoch?
Wir stecken mehr Arbeit in einen Post als Chefkoch. Die posten einen Link, einen Satz und raus damit.

Wenn ich bei Chefkoch arbeiten würde, hätte ich euch schon längst mal kontaktiert.
Von denen haben wir tatsächlich noch gar nichts gehört. Wir wissen aber immerhin, dass sie wissen, dass es uns gibt.

Naja, wären wir Chefkoch, könnten wir uns vorstellen, dass wir euch für eine richtige Partnerschaft bezahlen. Was ihr macht, ist ja nichts Anderes als Werbung.
Ich denke, der Grund, warum wir noch nichts von denen gehört haben, ist genau der. Ich weiß aber gar nicht, ob wir eine Bezahlung von Chefkoch annehmen würden. Dann macht man sich ja auch wieder abhängig. Und außerdem: Die Werbung machen wir ja so oder so.

Glaubt Ihr, dass Ihr mehr schlechte oder positive Werbung für Chefkoch macht?
Auf jeden Fall positive. In fast allen Artikeln, die ich über unsere Seite gelesen habe, stand drin, dass chefkoch.de eigentlich toll ist, aber eben auch ziemliche Verfehlungen dabei sind. Und genau so ist es ja auch. Ich bin auch ab und an mal auf der Suche nach Rezepten für den privaten Zweck.

Was würdet ihr in den Social Media machen, wenn ihr eine Woche für Chefkoch an die Tastatur dürftet?
Das ist echt eine gute Frage. An sich ist das ja schon ganz richtig, schöne und beliebte Rezepte zu posten. Ich würde die kurzen Facebookposts jedoch interessanter gestalten. Wenn ich ein Rezept von einer Spinatquiche poste und dazu eben "Spinatquiche - grün und lecker" schreibe, dann gibt es irgendwie keinen Mehrwert durch diesen Satz.

Eine halbwegs erfolgreiche Facebookseite macht einen nicht zum Experten.

Was wäre besser?
Wie genau das gehen soll, können wir auch nicht auf Anhieb beantworten. Eine halbwegs erfolgreiche Facebookseite, mit, wie wir finden, lustigen Texten, macht einen noch nicht zum Social Media Experten.

Von welchen Facebook-Seiten seid ihr eigentlich Fan?
Ich bin gar nicht so oft auf Facebook unterwegs, eher auf Twitter. Wo man auf jeden Fall einen Like dalassen kann, sind der "Goldene Aluhut", "Hannes Richert Cartoons" und "Garfield minus Garfield". Und als Geheimtipp noch "Was geht heute in Delmenhorst?".

In diesem Artikel
Hannes Hilbrecht

Hannes, Jahrgang 1993, gestaltet Content-Marketing-Projekte für die Digital-Agentur MANDARIN MEDIEN. Schrieb zuvor für Medien wie ZEIT ONLINE, den Berliner Tagesspiegel oder NDR.de. Ist nebenbei Fußballkolumnist. Erzählt jedem, den er trifft, dass er LeBron James interviewt hat. Für euch erreichbar unter: hannes.hilbrecht(ett)growsmarter.de

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