Wir wollen Commitment
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Wir wollen Commitment

Martin Drust ist Marketing-Chef beim FC St. Pauli. Im Interview erklärt er, wie er den Verein für Sponsoren attraktiv macht - und auf welche er gerne verzichtet.

von Hannes Hilbrecht
Martin Drust ist Marketing-Leiter beim FC St. Pauli © Martin Drust

Erst vor kurzer Zeit gab es für Euch viel Kritik aus den Reihen der AfD. Der Grund: Ihr habt das Duschbad Anti-Fa herausgebracht. Ein politisches Statement, aber auch eine Anspielung auf die Duschmarke von Henkel. Kann ein Produkt besser launchen als mit Kritik aus dieser Ecke?
Was ich viel interessanter finde: Dass das Duschbad bei Henkel derart hohe Wellen schlägt. Dass bereits so ein Statement der AfD ausreicht, um ein großes Unternehmen derart aufzuschrecken. Das finde ich gesellschaftlich viel interessanter als die Kritik von der AfD. Wobei wir uns natürlich freuen, dass sich das Duschbad – auch aufgrund der Öffentlichkeit – extrem gut verkauft hat.

Henkel droht mit rechtlichen Schritten. Habt Ihr so einen Ärger erwartet?
Dass es viel Aufmerksamkeit erregen wird, war uns und BudniHamburger Drogerie-Unternehmen schon klar. Aber wir haben Anti-Fa als Statement für unsere gemeinsame antifaschistische Grundhaltung entwickelt. Übrigens sollte Antifaschismus Grundhaltung aller Menschen in Deutschland sein. Man muss also schon sehr verblendet sein, daraus die Unterstützung von Gewalt abzuleiten.

Entstand die Idee am Reißbrett nach dem Plan: "Jetzt machen wir etwas Politisches, jetzt ecken wir an" oder war es ein "Glückstreffer"?
Wir haben im vergangenen Jahr schon ein Duschbad herausgebracht und nannten es Wischi-Waschi. In diesem Prozess entstand auch unsere Idee zu "Anti-Fa". Ein Geistesblitz also. Wir sagten uns schon vor einem Jahr: Das müssen wir beim nächsten Mal machen. Wobei wir auch nicht wussten, ob alle Beteiligten und Partner da mitmachen würden. Was – zum Glück – der Fall war.

Definitiv sind wir in unserer Außendarstellung wieder radikaler geworden.

Wie hat sich das Marketing vom FC St. Pauli in den vergangenen Jahren verändert?
Es ist ja immer schwer zu definieren, was genau jetzt Kommunikation ist und was Marketing. Definitiv sind wir in unserer Außendarstellung wieder radikaler geworden. Mit klaren Botschaften. Und das liegt natürlich nicht allein an uns aus dem Marketing, sondern am gesamten Verein. Ich denke beispielsweise an Geschäftsführer Andreas Rettig, der sich, zu sportpolitischen Themen wie 50+1 Eine Regelung der Deutschen Fussball-Liga, die besagt, dass Kapitalanleger in einem Verein keine Stimmenmehrheit erhalten dürfen. Somit hält der Fussballverein die Mehrheit der Stimmen. sehr klar positioniert. Oder auch an ganz klare Vereinspositionen zur Flüchtlingskrise oder gegen den Rechtsruck in Deutschland.

Auch wenn es eine Versuchung ist, über Fußball zu sprechen: Lass uns beim Marketing bleiben. Fußball und Werbung, also Kommerz, ist bei Fußballfans nicht gerade beliebt.
Deshalb ist uns sehr daran gelegen, dass Sponsoren und Partner bei uns nicht nur Geldgeber sind, sondern wirkliche Partner. Der FC St. Pauli hat klare Markenwerte. Und zu denen muss auch der Sponsor passen.

Wir wollen mit unseren Partnern eine Wertepartnerschaft mit Sinn eingehen.

Warum ist das so wichtig?
Uns geht es nicht allein darum, Geld zu verdienen. Wir wollen mit unseren Partnern eine Wertepartnerschaft mit Sinn eingehen. Wir reduzieren uns nicht darauf, dass wir unseren Sponsoren nur Awareness und Reichweite vermitteln. Wir wollen etwas gemeinsam bewegen und damit die Marken unserer Sponsoren nachhaltig verbessern.

Gibt es ein Beispiel für so eine Wertepartnerschaft?
Es gibt einige ganz unterschiedliche Ansätze, wie wir unsere Partnerschaften gestalten. Zum Beispiel die "Weltbesserer"-Initiative mit der Techniker Krankenkasse, mit der wir an unser Herzensprojekt "Kiezhelden" anknüpfen. Mit der Jeansmarke Levi’s haben wir im Stadion zum Beispiel einen Proberaum für junge Musiker eingerichtet – mit richtigen Instrumenten. Hier können Kids und Jugendliche spielen und proben, die nicht das Geld für eigene Instrumente haben. Außerdem ist uns die Wirkung auf unsere Stadt und im Besonderen auf unseren Stadtteil wichtig.

Im Fußball geht es um Millionen. Und die könnte man mit geringeren Ansprüchen vielleicht eher einnehmen.
Wir sehen es anders. Wenn wir die Wahl haben zwischen zwei Marken, würden wir uns immer für die in unseren Augen passende und bessere entscheiden. Eben die, die mehr eigene Storys mitbringt und bei der wir Möglichkeiten zur Zusammenarbeit sehen, was uns wiederum das Storytelling erleichtert. Im Zweifel entscheiden wir uns immer für die Marke und gegen das Geld.

Wir wollen Commitment. Mit einer einmaligen Überweisung ist es für uns nicht getan.

Ist das pure Ideologie oder auch Taktik?
Es ist eine klare Strategie. Wir stärken durch unsere strengen Auswahlkriterien unsere eigene Marke und machen uns für die Partner, mit denen wir zusammenarbeiten wollen, noch viel attraktiver. Nach diesem Leitsatz handeln wir in sämtlichen Bereichen. Unsere LED-Werbebanden im Stadioninnenraum sind zum Beispiel nicht frei wie eine Medienplatzierung buchbar. Das ist nicht unser Ansatz. Wir wollen Commitment. Mit einer einmaligen Überweisung ist es für uns nicht getan.

Was ist eigentlich euer wichtigster Marketing-Kanal?
Das ist eine schwierige Frage. Online wird Instagram immer bedeutender. Aber: Wir wiegen jetzt auch nicht einzelne Channels gegeneinander auf, also sagen: Instagram ist so und so viel besser als Facebook. Für die Reichweite ist und bleibt aber das Bewegtbild, also die Fernsehübertragungen samt Rahmenberichterstattungen, unser wichtigster Multiplikator. Zudem sehen wir auch unser Stadion mit knapp 30.000 Besuchern als Marketing-Kanal, auch wenn das unsere Fans nicht gerne hören. Auch hier kommen wir zu sehr vielen Kontakten, die wir nutzen.

Das Fernsehen als Top-Kanal stelle ich mir tricky vor. Schließlich produziert nicht Ihr die Fernsehbilder, sondern der übertragende Sender.
Wir wissen aber, von wo wie gefilmt wird. Also können wir beeinflussen, wo welche Werbemaßnahmen zu sehen sein werden. Aber grundsätzlich hast Du Recht. Wo genau die Kameras hin schwenken, können wir nicht steuern. Dafür haben wir aber Einfluss, wie unser Stadion wirkt. Also legen wir viel Wert auf ein gutes TV-Erlebnis und vor allem darauf, dass der Fußball im Mittelpunkt steht.

Wie stellt man den Fußball mehr in den Mittelpunkt und macht das TV-Erlebnis, was durch Streaming ja längst ein Online Channel ist, attraktiver?
Beispielsweise durch optimale Lichtverhältnisse und dadurch, dass wir unsere LED-Werbebanden wie alte Drehbanden nutzen. Es gibt keine Animationen wie durchlaufende Schlangen, die den Zuschauer ablenken und damit das Erlebnis Fußball stören.

Wir hatten es schon kurz angesprochen: Die Kombination aus Fußball und Werbung hat für viele Fans Geschmäckle. Bei einem politischen Verein wie dem FC St. Pauli, dessen Anhängerschaft sich von links speist, dürfte das nicht ausgeklammert sein.
Wir setzen auf Kommunikation und Teilhabe. Wenn wir im Marketing oder in der Vermarktung Größeres planen, besprechen wir das immer mit den entsprechenden Gremien, in denen auch unsere Mitglieder und aktive Fans sitzen. Gibt es Vetos oder Bedenken, können wir frühzeitig reagieren. Was von Vorteil für alle Beteiligten ist. Denn weder wir als Verein noch unsere Sponsoren haben Interesse daran, dass Marketingmaßnahmen bei den Fans negativ aufstoßen und Proteste hervorrufen. Dann nämlich ist es schwer, unser Handeln und unsere Pläne zu korrigieren.

Überspitzt formuliert: Man muss als Entscheider beim FC St. Pauli ein guter Demokrat sein.
Demokratie ist immer gut. Wir sehen uns als partizipatorischer Verein, bei dem die Mitgliederversammlung das wichtigste Gremium ist. Die Mitbestimmung durch Vereinsmitglieder ist, wenn man so will, der Markenkern unseres Vereins.

Beim FC St. Pauli arbeite ich nur für das "uns".

Nun hast Du zuvor lange im Führungszirkel von thjnk gearbeitet. Was ist der Unterschied zwischen Agentur und Verein?
In der Agentur bin ich Dienstleister für verschiedene Kunden. Ich arbeite für jemand anderen. Beim FC St. Pauli arbeite ich nur für das "uns".

Für thjnk hast Du für viele Großkunden gedacht. Verändert sich das Denken nicht, wenn man plötzlich nicht mehr für 100, sondern nur für einen denkt.
Die grundverschiedenen Aufgaben, die ich hier habe, sorgen dafür, dass ich sehr oft kreativ denken muss. Oder besser gesagt: kreativ denken darf.

Hast Du ein Ritual oder einen Hack, mit dem Du Deine Kreativität ankurbelst?
Ich versuche frei im Kopf und neugierig zu sein. Außerdem versuche ich Erfahrungen aus anderen Bereichen in meine Welt zu übertragen, das führt oft zu guten Ideen.

Diese Frage stellen wir fast jedem Gesprächspartner: Was war die smarteste Entscheidung in Deiner Laufbahn?
Auf die Hälfte meines Gehaltes zu verzichten und den Job beim FC St. Pauli anzunehmen.

Was hat Dich zum Verzicht motiviert?
Ich mache den Job jetzt vier Jahre. Und vor sechs Jahren habe ich das erste Mal darüber nachgedacht, was ich die nächsten 20 Jahre machen möchte. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon 20 Jahre in der Werbebranche. Damals, als ich über meine Zukunft nachdachte, begann ich mich sehr für Sportmarketing zu interessieren. Ich besuchte also Kongresse und bildete mich weiter. Dann hat sich Michael Meeske, damals Geschäftsführer und durch gemeinsame Projekte ein guter Bekannter, mit mir zum Essen verabredet. Er erzählte mir, dass der damalige Marketing-Leiter des FC St. Pauli den Verein verlassen würde. Dass sie auf der Suche seien und er wollte fragen, ob ich nicht einen Tipp für ihn hätte. Ich, seit 30 Jahren Dauerkarten-Besitzer am Millerntor, antwortete: "Ja, ich kenne einen. Mich."

Wie fiel die Reaktion aus?
Michael war sehr überrascht und sagte, ich sei überqualifiziert und vor allem zu teuer. Aber wir haben uns geeinigt, Kompromisse gefunden und eine Grundlage geschaffen. Seitdem ich beim Verein bin, haben wir unsere Einnahmen um 25 Prozent gesteigert, wobei das auch mit vielen anderen Menschen und Faktoren zu tun hat – die Entscheidung war also nicht nur emotional für mich, sondern für beide Seiten richtig.

Du als Werber kannst uns sicher zum Abschluss auch erklären, wie man so eine Entscheidung, auf 50 Prozent des Gehalts zu verzichten, der Familie vermittelt.
Es war natürlich ein Risiko. Aber es hätte für einen gewissen Zeitraum eine Rückkehroption zu thjnk, wo ich Partner war, gegeben. Wäre die Nummer gescheitert, hätte ich zurückkehren können. Meiner Frau hatte ich den Job bei FC St. Pauli übrigens als bezahlte Weiterbildung verkauft.

In diesem Artikel
Hannes Hilbrecht

Hannes, Jahrgang 1993, gestaltet Content-Marketing-Projekte für die Digital-Agentur MANDARIN MEDIEN. Schrieb zuvor für Medien wie ZEIT ONLINE, den Berliner Tagesspiegel oder NDR.de. Ist nebenbei Fußballkolumnist. Erzählt jedem, den er trifft, dass er LeBron James interviewt hat. Für euch erreichbar unter: hannes.hilbrecht(ett)growsmarter.de

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