Was ich in 3900 Minuten Mad Men gelernt habe
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Was ich in 3900 Minuten Mad Men gelernt habe

Nach Hank Moody und Walter White ist Don Draper der nächste Seriengott von GrowSmarter-Autor Hannes Hilbrecht. Seine drei Marketing-Learnings nach dem Serienmarathon.

von Hannes Hilbrecht
Die Madison Avenue ist das Zentrum der amerikanischen Werbeindustrie - und zentraler Handlungsort von Mad Men. © Photo by Daryan Shamkhali on Unsplash

Anmerkung: Dieser Beitrag könnte Ironie enthalten.
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65 Stunden intensive Observation, drei durchgeschwitzte und vergilbte Unterhemden, sechs Packungen Tiefkühl-Lasagne, eine Stiege H-Milch, zwei Tüten Kaffeepads "Extra-Strong", ein flausiger Schnurrbart und aufsteigender Verwesungsgeruch – es war die mit Sicherheit intensivste Recherche unserer GrowSmarter-Geschichte. Ich habe die ultimative Werber-Serie Mad Men im Winterurlaub verschlungen wie ein Bär den Lachs, den er aus einem der reißenden Flüsse Alaskas krallt.

Um nicht in ein paar Jahren aller meiner künftigen Preise beraubt zu werden, braucht es jetzt eine offene wie ehrliche Klarstellung vom Ufer des Netflix-River: So extrem war es natürlich nicht. Alle genannten Details sind, von den sechs Packungen Tiefkühl-Lasagne abgesehen, frei erfunden. Sie dienten bloß der Staffage eines möglichst unterhaltsamen Einstiegs in diesen Text.

Die 3900 Minuten Mad Men verschrieb ich mir figurbewusst in schlanken Portionen, nur sechs, sieben Folgen am Stück. Das Cholesterin. Und man hat ja auch Hund und Familie, braucht zwischendurch Zeit, um nach geilen Möbeln im 60er-Jahre-Stil zu googlen oder Großmutters gesamtes Interieur nach alten Schätzen zu durchstöbern. Und ganz wichtig: Man will ja auch was mitkriegen. Das Gesehene verarbeiten. Learnings daraus ableiten. Und genau aus dieser Motivation entstand dieser Artikel.

1. Weniger ist mehr

Schön, dass es mal eine Zeit gab, die ohne aufwändige Keynote- und PowerPoint-Präsentationen auskam. Wie viel Zeit man deshalb für tolle Dinge hatte: Ideen entwickeln und mit Kollegen rumspinnen. Whisky im Büro trinken. Nickerchen auf einem Designersofa machen. Der Sekretärin, ähm, für die geleistete Arbeit einen Bonuscheck ausstellen.

Die Präsentationen und Werbepitches der Serie? Trotzdem episch. Besonders beeindruckend brannte sich das analoge Powerpoint der 70er ein: Drei Tafeln, auf Stativen aufgereiht, und bis zur finalen Pointe des Pitchenden sah man nur die kargen Rückseiten. Was muss das auf Kundenseite für ein Spannungsbogen gewesen sein, wenn man so da saß, und wirklich zuhören musste, weil man noch nichts sah?

Die wichtigste Beobachtung: Don Draper, der Creative Director, um nur eine seiner Rollen zu erwähnen, erzählte in den viel zu wenigen Pitches der Serie einfach gute Stories. Weil man Zeit dazu hatte. Weil es nicht galt, 50 Folien abzuspulen und bloß alles, was man sich im störungsfreien Vakuum einer Präsentationsvorbereitung ersonnen hatte, auch zu präsentieren. Die Idee und deren beabsichtigte Wirkung standen im Fokus, nicht das Selbst-Beweihräuchern durch Referenzen und anderer digitaler Spielereien.

Da ich bis uns vergangene Jahr nur Zeitungsredaktionen und Studentenclubs von innen sah, nicht aber eine große Kommunikationsagentur, blieben zwei Fragen offen:

  1. Gibt es deutsche Don Drapers?
  2. Sind diese Schautafeln noch modern?

Key-Learning: Endlich wieder bessere Geschichten erzählen. Und bessere schreiben.

2. Happiness

“Advertising is based on one thing: happiness. And do you know what happiness is? Happiness is the smell of a new car. It's freedom from fear. It's a billboard on the side of a road that screams with reassurance that whatever you're doing is OK. You are OK.”

Das einzige Don-Draper-Zitat, das in diesem Text auftauchen wird, i promise. Dafür gibt es ja zum Glück zwei Billionen andere Seiten im Web.

Dieses Zitat, ja der gesamte Pitch von Don bei Lucky Strike beeindruckte mich nachhaltig und erinnerte mich erneut einer Tatsache, die Autoren, Kreative und sicher auch klassische Verkäufer on- und offline zu oft ausblenden: Es zählt nicht das eigene kreative Glück, sondern die richtige Ansprache der Kunden. Die kreativste Idee ist wertlos, wenn sie nicht auf die Happiness des Endverbrauchers einzahlt. Hab auch ich jetzt endlich verstanden.

Vor ein paar Monaten war ich in einer ähnlichen Pitch-Situation: Es ging um eine Idee für ein Energieunternehmen. In kleinen Teams ersonnen und ersponnen wir viele Ideen, die lustig und unterhaltend waren, kurzum: Die Eindruck machen sollten, vor allem bei den Firmen-Verantwortlichen. Wir wollten Strom als spaßiges Produkt verkaufen.

Irre, oder? Denkt man hier an den tatsächlichen Kunden, müsste einem sofort einleuchten: Strom ist kein Produkt, das Spaß macht. Also Spaß im Sinne eines Schokoladenaufstrichbrots oder einer Playstation. Niemals. Strom ist eine rote Ziffer im Online Banking, ein unerfreulicher wie steter Auftritt auf dem Kontoauszug. Je nach Haushaltsgröße eine finanzielle Belastung. Und: Die Stromrechnung ist die etwas weniger nervende Verwandtschaft des Rundfunkbeitrags.

Viel besser wäre womöglich eine andere Story gewesen: Wenn Du schon Geld für Strom ausgeben musst, weil ein Leben ohne alternativlos ist, dann wenigstens an ein Unternehmen, das forscht, Neues entwickelt und deiner Region Gutes tut – und langfristig dafür sorgt, dass Strom sauber wird und vielleicht sogar erschwinglich bleibt. Der Stromkunde als Investor in eine bessere Zukunft. Wäre sicher eine gute Idee gewesen, um auch den Stromkunden ein bisschen happy zu machen. Zumindest diejenigen, die ein "Atomkraft, nein danke" Sticker auf dem Gepäckträger kleben haben.

Key-Learning: "Clap along if you feel like happiness is the truth."

3.  Beziehe neue Leute ein und gebe Chancen

Mad Men ist überwiegend sexistisch und rassistisch, und das ist gut so, weil es die unsäglichen Zustände und den Slang der Zeit realistisch wiedergibt und kritisch hinterfragt. Dabei werden auch Geschlechterbilder betont, um deren Abbau die moderne Gesellschaft noch heute, knapp 50 Jahre später, bemüht ist.

Eine sehr wesentliche Figur der Serie im Hinblick auf "New Work" ist Margaret "Peggy" Olsen, die als blasse Sekretärin anfängt und rasant im Laufe der Serie zur Cheftexterin aufsteigt und allen erdenklichen gesellschaftlichen Hindernissen trotzt.

Alles fängt dabei mit einem simplen Kniff an: Der Creative Director Don fragt Sekretärin Peggy nach Feedback für eine Idee zu einer Lippenstift-Anzeige. Heute würden wir das vielleicht als interdisziplinäres Arbeiten deuten, in dem klassische Strukturen "agil" durchbrochen werden. Damals sicher ein skandalöser Vorgang, eine einfache "Tippse" um Rat zu fragen. Tatsächlich ist es auch heute noch relativ selten, dass man sich als kreativer Ideentaucher mit der Sekretärin oder dem Pförtner zusammensetzt, oder?

Doch vielleicht sollten wir genau das häufiger mal tun. Andere Perspektiven einholen, nicht nur teuer von außerhalb, sondern von Fall zu Fall auch von Mitarbeitern aus ganz anderen Abteilungen. Eine andere Lebensrealität atmen. Mein liebstes Beispiel: Diese Kampagne von Borussia Mönchengladbach, in dem die Männer und Frauen aus dem Ticketing die beste Marketing-Idee hatten.

Und ganz nebenbei zeigt die Story von Mrs. Olsen etwas ganz Entscheidendes: Studienabschlüsse sind in manchen Branchen nur Schall und Rauch und nicht immer ein Indikator für Talent.

Key-Learning: Guten Leuten gibt man Chancen. 

 

Fünf Dinge, die ich mir nach Mad Men vorgenommen habe:

  1. Einen Anzug kaufen.
  2. Mit dem Rauchen anfangen und mehr Whisky trinken, oder vielleicht doch lieber nicht.
  3. Vor dem nächsten Pitch recherchieren, ob der zu bepitchende Geschäftsführer digitale Spuren als Draper-Fan hinterlassen hat, und wenn ja, eine Präsentation mit 3 Schautafeln im 70er-Stil arrangieren.
  4. Ein Spesenkonto verhandeln.
  5. Mir ein Lätzchen für das nächste Hummeressen in Schwerin/Lankow bestellen.
In diesem Artikel
Hannes Hilbrecht

Hannes, Jahrgang 1993, gestaltet Content-Marketing-Projekte für die Digital-Agentur MANDARIN MEDIEN. Schrieb zuvor für Medien wie ZEIT ONLINE, den Berliner Tagesspiegel oder NDR.de. Ist nebenbei Fußballkolumnist. Erzählt jedem, den er trifft, dass er LeBron James interviewt hat. Für euch erreichbar unter: hannes.hilbrecht(ett)growsmarter.de

1 Kommentare
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Lange, Felix
25.01.2019
Sehr gut! Herrlich beschrieben und unterhaltsam verpackt. Eine inception von Story: Die Geschichte als Geschichte von der Idee.

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