Agiles Jobvermischen
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Journalismus und Marketing sind wie Feuer und Wasser. Doch beide Disziplinen können nebeneinander harmonieren und uns wachsen lassen. Wenn wir es richtig machen. #3Learnings.

von Hannes Hilbrecht
Der sozialistische Bruderkuss zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker auf einer Wand in der Berliner East Side Gallery. © Jetson Higuita on Unsplash

Journalismus oder Marketing, Held oder "Schurke"?

Vor eineinhalb Jahren musste ich mich dieser Frage stellen. Eine Entscheidung treffen. Klassischer Journalismus oder "irgendetwas mit Medien" in einer Digitalagentur. Ich hatte zwei ähnlich gute Möglichkeiten in Berlin oder Schwerin. Das Abenteuer Großstadt oder die Rückkehr in mein Heimatbundesland.

Ich entschied mich für Schwerin und fing als Redakteur in einer Digitalagentur an, verzichtete auf einen nicht unattraktiven Pauschalistenvertrag bei einer überregionalen Tageszeitung. Die Frage nach dem "Warum" blieb in meinem Umfeld lange haften. Mein Mentor, ein begnadeter Sportjournalist, warnte eindringlich: "Du musst dich schnell entscheiden. Beides, Werbung und Journalismus, geht nicht."

Man muss wissen: Ich wollte schon als Kind Sportreporter werden. Ich lernte die Spielersteckbriefe aus den Fußballsonderheften, die es ab Juli an den Kiosken gab, in und auswendig. Mit sieben wusste ich, wie schwer oder wie groß die meisten Profis in der Bundesliga waren, welche Trikotnummer sie trugen und aus welchen exotischen Ländern sie kamen. Diesen Wunsch, für solche Magazine zu schreiben, hatte ich mir mit Anfang 20 erfüllt.

Warum also der bewusste Schritt in die Werbung, in eine neue, eine fremde Branche? Ich entschied mich damals - wie so oft - eher aus dem Bauch heraus. Heute weiß ich, dass es gute Gründe für den Wechsel gab.

1. Online Marketing gehört zu einer medialen Ausbildung dazu

Ich habe nicht viel Leidenschaft und Muße in meine Hochschullaufbahn gesteckt. Mich langweilte das Zuhören in übervollen Hörsälen, das Auswendiglernen und die Tatsache,  in den Hausarbeiten mehr Zeit in die Form als in den eigentlichen Inhalt investieren zu müssen.

Weil ich mein Studium unabhängig finanzieren wollte, arbeitete ich früh viele Stunden an meinem winzigen Schreibtisch oder war draußen auf der Pirsch nach guten Stories. Das machte mehr Spaß als das bloße "Zuhören" und ziellose Schleifendrehen in den Diskussionen mit Kommilitonen.

Später fokussierte ich Hospitanzen und Praktikas, lernte im Tagesgeschäft von Vollprofis. Ich schrieb für unterschiedliche Medien, vom Leitmedium bis zum Sportblog in der kleinsten Nische. In der Praxis, wo es stürmt und auch mal nass wird, lernt es sich eben viel besser als im behüteten Vakuum einer Hochschule. Ich sammelte Monat für Monat Erfahrung in interessanten und spannenden Bereichen, erlebte Krisensituationen. Fiel hin, stand auf. Nase abrotzen und weitermachen.

Doch bei all diesen wichtigen Lernprozessen war ein Thema komplett an mir vorbeigegangen: Marketing.

Heute weiß ich: Online Marketing sollte zwingend Bestandteil einer multimedialen Ausbildung sein - auch für Journalisten. Alleine, weil man andere Arbeitsweisen versteht und lernt, wie man Geschichten verbreitet und auffindbar macht. Was nützt die beste Geschichte, wenn sie kaum jemand liest?

In einer Zeit, in der Print schrumpft und online wächst, Monetarisierung aber eine Herausforderung bleibt, müssen Autoren und Redakteure die Mechanismen der Sichtbarkeit verstehen und im besten Fall selbst beeinflussen können.

Key-Learning: Die Praxis ist der beste Lehrmeister. Erfahrungen im Marketing erweitern den Horizont - und das ist beim Schreiben für mich immer das Wichtigste gewesen: ein guter Rundumblick.

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2. Finanzielle Sicherheit macht unabhängig

Ich habe vor etwa eineinhalb Jahren eine Geschichte über Melanie geschrieben. Mel lebt mit einem seltenen Gendefekt in Berlin. Ihr Gesicht ist durch wuchernde Tumore teilweise entstellt, sie trägt eine Beinprothese, muss fortwährend operiert werden und fast täglich abfällige Blicke ihrer Mitmenschen ertragen. Nichtsdestotrotz ist sie eine beeindruckende Sportlerin und inspirierende Persönlichkeit, eine Mutmacherin.

Mels Geschichte war damals eine Herausforderung. Mehrmals haben wir uns getroffen, Berlin mit Bus und Bahn durchquert. Beim Rollstuhlbasketball-Training beobachtete ich ihr ganzes Können. Viele Tage schrieb ich an einer Geschichte, die bewegend sein sollte, aber nicht rührselig. Es brauchte die perfekte Balance - und das ist manchmal Sisyphusarbeit.

Nach getaner Arbeit bekam ich eine ganze Seite in der Sonntagsausgabe des Berliner Tagesspiegels. Ich faltete die Zeitung, steckte sie in einen Briefumschlag und schickte sie meinen Eltern. Ich war stolz. Und mein Honorar? Es war okay, aber in Anbetracht der investierten Zeit trotzdem verdammt frustrierend. Ich kenne viele Redakteure und Journalisten, die tolle Stories nur dank einer persönlichen Ressource überhaupt stemmen können: Unbezahlte Arbeitsstunden. Leidenschaft und Erfüllung als Brotersatz. Doch so zahlt sich auf Dauer keine Miete.

Es ist halb so schlimm, wie es sich anhört. Klar ist aber auch: Die Zeiten im Journalismus werden nicht besser und sicherer. Medien kämpfen. Honorare fallen, das Gedränge an den Trögen um lukrative Veröffentlichungen nimmt zu.

Der Seitenwechsel war auch eine wirtschaftliche Entscheidung, wie meistens. Er hat aber einen ganz großen Vorteil: Die gewonnene Sicherheit ermöglicht es trotzdem, vereinzelt spannende Stories aus der journalistischen Perspektive zu erzählen. Unbefangen und ohne wirtschaftlichen Druck. Ich muss keine Reportage oder Texte mehr abliefern, ich darf und kann. Seit drei Monaten arbeitete ich an einem Thema, ohne Hast, mit ganz viel Ruhe für die Details. Das ist extrem komfortabel.

Key-Learning: Wirtschaftliche Sicherheit nimmt den Druck und verschafft Zeit für die Details.

3. Die schreiberische Herausforderung

Eine Sache fand ich immer verlockend. Aus einer drögen Geschichte ein Erlebnis für die Zuhörer und Zuleser zu machen. Ich wollte Geschichten schreiben, die informierend sind, aber auch unterhalten. Humor, Witz und Spannung sind und waren schon immer die besten Transmitter von Informationen. Bei meiner Bewerbung für eine Journalistenschule schilderte ich auf zwei Seiten das Schälen einer Apfelsine und schmückte die Prosa mit ernährungswissenschaftlichen Details aus. Ich habe den Text - zum Glück - nie abgeschickt.

Im Sport ist das Schreiben relativ leicht. Es gibt Außenseiter und Favoriten. Große Momente. Oft genug ist es ein absurdes Schauspiel. Die Geschichten prasseln auf einen ein wie bei einem hochsommerlichen Wolkenbruch.

Im Content Marketing für Produkte wie Industrieklebstoff ist das schwieriger. Warum? Weil die Themen auf dem ersten Blick oft nicht so griffig sind und nur schwer zu emotionalisieren. Man nicht so frei ist wie auf einer Zeitungsseite oder auf einem Blog. Gute Projekte im Content Marketing sind erzählerisch sehr viel aufwendiger. 

Doch springt man über die Hürde und findet für eine nur vermeintlich unscheinbare Branche tatsächlich ein explosives wie interessantes Thema, ist es ein verdammt gutes Gefühl. Aus Werbung informierende und für den Leser faire, weil nicht unwahr zusammengeklobte Unterhaltung zu machen, ist eine Herausforderung. Und Herausforderungen, das weiß jeder, der schonmal eine erfolgreich bewältigt hat, können verdammt zufriedenstellend sein.

Key-Learning: Content Marketing ist eine besondere Herausforderung. Und Herausforderungen machen Spaß.

In diesem Artikel
Hannes Hilbrecht

Hannes, Jahrgang 1993, gestaltet Content-Marketing-Projekte für die Digital-Agentur MANDARIN MEDIEN. Schrieb zuvor für Medien wie ZEIT ONLINE, den Berliner Tagesspiegel oder NDR.de. Ist nebenbei Fußballkolumnist. Erzählt jedem, den er trifft, dass er LeBron James interviewt hat. Für euch erreichbar unter: hannes.hilbrecht(ett)growsmarter.de

3 Kommentare
Kommentieren
Kevin
12.02.2019
Hey Hannes, Danke für diese sehr persönlichen Einblicke & Learnings! Genau darum geht es: Mit neuen Herausforderungen wachsen, Tag für Tag, Monat für Monat...für mich ein wichtiger Bestandteil eines erfüllten Jobs. Grüße aus denn Urlaub :)
Jana Buchholz
11.02.2019
Hallo Hannes,
guter Artikel und absolut richtig. Ich bin auch „Rückkehrer“ und würde gern mehr von uns zusammen bringen. Schau doch mal auf meetup, dort habe ich eine Gruppe Rückkehrer Schwerin eingerichtet. Bitte gern auch weiterleiten.
VG,
Jana
Hannes
11.02.2019

Antwort auf von Gast (nicht überprüft)

Hi Jana!

Vielen Dank. Ich habe euch bei Meet-Up schon gesucht und gefunden. Muss aber gestehen, dass ich eigentlich ein Rostocker Hanseat bin :) viele Grüße, Hannes!

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