Content Marketing: Eine Frage des Mindsets?
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Content Marketing: Eine Frage des Mindsets?

Probleme im Content Marketing beginnen oft im Mindset der Umsetzenden. Und: SEO kann fantastische organische Ergebnisse erzielen, aber genau das ist nicht immer gut.

von Hannes Hilbrecht
Großes Kino: Das geht auch beim Corporate Publishing ©Annie Spratt, Unsplash

Es gibt einen Satz in der Marketing-Welt, den ich in den Gesprächen auf Konferenzen nicht mehr hören kann. 

Wir machen nur Corporate Publishing, das dürfen wir nicht vergessen.

Was für ein Bullshit! Man stelle sich vor, die Produzenten des Entertainment-Schwergewichts HBO hätten sich vor Jahren gesagt: Wir machen ja nur Serien, keine Hollywood Blockbuster. Hätte uns Game of Thrones im GZSZ-Look gedroht?

Nicht minderwertiger als andere Medien

Corporate Publishing muss nicht per se qualitativ minderwertiger sein als andere Medienerzeugnisse. Klar – Journalismus ist das, wo Nike oben drüber steht, definitiv nicht. Aber es kann auch Content-Formate geben, die Lesern, Hörern und Zuschauern neue Werte vermitteln. Corporate Publishing (egal in welcher Form) kann also auf seine eigene Art und Weise hilfreicher, informierender, interessanter und fesselnder sein als die konkurrierenden seriösen Medienprodukte. 

Die wichtigste Bedingung dafür: Die Inhalte müssen nicht nur hochwertig sein, sondern bei den Nutzern aufrichtig und ehrlich ankommen. Unternehmen wie Hornbach, die sehr gutes Content Marketing machen, stellen ihre Zielgruppe an die erste Stelle. Sie schaffen zunächst eine Umgebung für den potenziellen Kunden, nicht für die eigenen Produkte. Diese schwimmen nur mit. Das aber erfolgreich.

Hornbach denkt sogar sehr kreativ an zwei verschiedene Zielgruppen. So gibt es für die Heimwerker klassische Eigenheim-Tutorials. In ausführlichen Videos erklären Experten, wie sogar Laien erfolgreich Parkett verlegen oder Fenster austauschen können. Die urbanen Bastler werden derweil mit Tutorials zum Thema "Designermöbel" angesprochen.

Schaue ich mir andere Content-Projekte im Web an, erscheinen manche Magazine hingegen wie eine ferne Enklave der Unternehmens-Homepages. Das Produkt steht meist im Fokus, das Interesse der Leser ist zweitrangig. Manchmal werden die Angebote so jauchzend beschrieben, dass mündige Kunden sich lieber selbst Würgemale zufügen, als noch eine Sekunde auf dieser Website zu stöbern.

Immer, wenn ich einen Sponsored Post von Hello Fresh auf Popdust sehe, sehne ich mich nach einer Garrotte für den Eigenbedarf. Wenn Content Marketing nicht mehr als Werbung bietet, ist das ein ernsthaftes Problem und infam den Nutzern gegenüber. Umso positiver wirkt es hingegen, wenn genau diese negative User-Erwartung “ist ja nur Werbung” weit übertroffen wird. 

Content Marketing fokussiert das Bedürfnis einer bestimmten Zielgruppe und befriedigt es über lange Zeit konstant mit tollen und relevanten Inhalten. 

Das Grundkonzept von Content Marketing ist simpel. An Joe Pullizzis zeitloser Definition verändert sich trotz der steten Verwandlung der Kanäle und des menschlichen Medienbewusstseins wenig. 

Trotzdem an dieser Stelle drei Gedankenspiele, wie wir Pulizzis Definition für uns nutzen können:

1. Mehr Disruption und Themenvielfalt

Manche Unternehmen müssen sich in der ersten Konzeptionsphase ihres Content-Marketing-Projekts mehr von ihren Produkten lösen. Es geht um Disruption und die Diversifizierung des Themenspektrums. Das schafft gerade in den Ressorts Reisen, Sport, Gesundheit und Popkultur neue Relevanzen und vergrößert die Vielfalt der greifbaren Story-Fäden.

Denken wir einmal an ein Unternehmen wie Sennheiser. Das Unternehmen aus Hannover produziert Mikrofone und Lautsprecher. Die Kopfhörer zählen zu besseren Angeboten auf dem Markt. 

Eine konservative Vorgehensweise für Sennheiser wäre: 

“Wir erklären, wie gut unsere Produkte sind. Wie gut sie klingen, wie sie den Lärm der Außenwelt abschirmen. Wir nutzen Testimonials und zeigen, welche coolen und wichtigen Leute (Musiker, Hubschrauberpiloten, etc.) Sennheiser-Produkte in ihrem Alltag verwenden. ”Nett. Aber eben noch lange kein Content Marketing. 

Eine Plattform dagegen, die auf eine neue Art Musikthemen verarbeitet und Leser begeistert (z.B. Album-Reviews in einer neuen Form), verspricht ganz andere disruptive Potenziale.

Das hat wesentliche Gründe:

  • Je nach Künstler oder Genre können sehr unterschiedliche Zielgruppen über die Themenauswahl und das Targeting erreicht werden. 
  • Über Social-Media fällt die Distribution leicht, da viele Nutzer ihren Lieblingsinterpreten folgen.
  • Durch Album-Releases, Reunions, Festivals und große Konzerte gibts 365 Tage im Jahr frische Aufhänger für Themen mit hoher Relevanz.
  • Starker, musikbezogener Content macht Lust auf Musik in besonders guter Qualität – das ist der Bogen zum Produkt.

So eine Plattform wäre ein Ort für die Zielgruppe – aber zeitgleich eine passende Umgebung für Produkte, die Musik überhaupt erlebbar zu machen. 

2. Werte deine Glaubwürdigkeit mithilfe deiner Konkurrenz auf

Glaubwürdigkeit ist das Wichtigste. In zwischenmenschlichen Beziehungen wie im Verhältnis zwischen Produzenten und Verbrauchern. Die meisten von uns kennen die Folgen eines gebrochenen Kundenversprechens. Negative Kritiken im Internet werden bis zu siebenmal eher geschrieben oder geteilt als eine positive. Und diese Kritik bleibt haften wie früher die Grasschmiere an der Jeanshose.

Selbst Unternehmen, “die immer ehrlich waren” oder zumindest diesen Eindruck erfolgreich vorgaukeln, leiden unter der Skepsis der Nutzer. Doch wie lässt sich Glaubwürdigkeit aufrichtig gewinnen?

Der wohl schmerzhafteste und gleichzeitig simpelste Kniff: Eine Plattform, die man gebaut und entwickelt hat, auch für die Konkurrenten öffnen. Klingt irre. Das macht kaum einer. Genau darum wäre dieser Ansatz so wichtig.

Nehmen wir einen Produzenten von veganem Fleischersatz. Angenommen, dieser startet ein Magazin (Text, Video, Multimedia, was auch immer) mit dem Ziel, leidenschaftlichen Steak-Fans bei der Reduzierung des eigenen Fleischverbrauchs zu helfen. 

Haltung statt Werbung

Konkretes Beispiel: Das fiktive Unternehmen Veggiehof will dem umweltbewussten Whopper-Enthusiasten mit schlechtem Gewissen einige Alternativen und Strategien zeigen, mit denen er künftig ökologischer lebt. Wenn Veggiehof nur eigene Produkte zeigt, dann ist es eine schöne Aktion, aber eben auch Werbung mit mehr Kalkül als Überzeugung.

Aber ab dem Moment, wo der Channel auch andere Produkte (natürlich nicht die direkte Konkurrenz) vorstellt, die Veggiehof vielleicht nicht selbst im Sortiment hat, die aber trotzdem gut sind, bekommt die Message einen authentischen Anstrich. Die charmante Idee, die immer noch Werbung ist, wird als Haltung wahrgenommen. Die große Sache steht – vermeintlich – über den eigenen Marken-Interessen. Das generiert Glaubwürdigkeit. 

3. Content-Kreation als Research-Tool

Entwickeln Unternehmen und Agenturen ihr Content Marketing mit dem Anspruch, neue und gute Stories zu erzählen, kann der Input, den gute Redakteure, Autoren und Content-Kreatoren (was ein doofes Wort) schürfen, Gold wert sein.

Kein Abfallprodukt – ein Wert

Egal, wie konstant Studien, Statistiken und Data Mining verlässliche Orientierungsmarken liefern – es bleiben trotzdem Zahlen. Und diese können menschliche Kontakte, Expertengespräche oder neue Formen der Content-Aufbereitung nicht immer ersetzen. 

Die gewonnenen Inhalte sind nicht nur Content für die Zielgruppe, sondern bestenfalls auch valide Informationen für die Auftraggeber. Diese Weiterbildungskomponente ist kein Abfallprodukt. Sie ist ein Wert. 

Warum gutes SEO super wichtig und trotzdem eine Gefahr ist

Agenturen wissen es und Unternehmen leidlich auch: Guter Inhalt ist teuer. Aber dafür ist er langlebig. Ein richtig guter Text kann auch in fünf Jahren noch funktionieren. Das heißt: Über Social viral gehen oder über die Suchmaschinen Interessenten akquirieren. 

Wie gut Content dauerhaft wirkt, ist von den SEO-Maßnahmen abhängig. Gutes SEO kann fantastische organische Ergebnisse erzielen und so für günstige und permanente Reichweite sorgen. Wem erzähle ich etwas Neues. Das Problem ist: Manchmal ist “organisch fantastisch” gar nicht so gut. 

Seo-Kontamination kann schaden

Es gibt sehr viele gute SEO-Artikel da draußen. Und es gibt eben auch sehr viel Kleister. Mindestens vier-, fünfmal die Woche lande ich auf so einem Beitrag. Vor lauter Keywords verschrumpeln die Stories oder die Inhalte bis zur Unkenntlichkeit. 

Die Wirkung ist möglicherweise fatal: Der User interessiert sich für ein Thema, klickt auf das erste Suchergebnis unterhalb der Anzeigen und denkt danach nur: Langweilig (wie Homer Simpson gesprochen). Oder noch schlimmer: Alles schon mal gelesen. Oder am furchtbarsten: Ist ja totaler Schwachsinn. Es gibt SEO-Texte, die sind so grausig seo-kontaminiert, dass sie nicht als Appetizer für eine Marke oder ein Produkt wirken, sondern eher wie ein Appetitzügler. 

Der neuseeländische GrowSmarter-Gastblogger Jon Westenberg schrieb in einem Beitrag über Influencer-Marketing ein paar Sätze, die auch hier hinpassen. 

Clicks. Views. Likes. Shares. Was nützt Dir das? Die einzigen Metrics, die Dir wichtig sein sollten, sind: Acquisition, Activation, Retention, Revenue, Referral?

SEO, im Endeffekt auch nur eine Form von Manipulation, kann gute Texte auffindbar machen. Sogar verhindern, dass manch geniale Kreation zur brotlosen Kunst gerät. Würde es meinen Lieblings-Toastbrothersteller noch geben, hätte er bessere SEO gemacht? Sehr gut möglich.

Aber SEO-Maßnahmen können auch gegenteilig wirken. Dann nämlich, wenn sie miesen Content einer großen Masse an Lesern zuführen.

Die Eitelkeitsmetriken

Genau das ist die latente Gefahr. Egal, ob ein geiler Social-Teaser, eine perfekt platzierte Anzeige oder ein gutes Ranking dafür verantwortlich ist: Bricht ein Inhalt seine Versprechen, relevant zu informieren (oder zu unterhalten), leidet darunter die Marke. Clicks und Views, Eitelkeitsmetriken, wie John Westenberg sie nennt, sind nicht immer so positiv, wie mancher sie verkauft.

Ein guter Beitrag mit 5000 Views, hohen Verweildauern und einer starken Reaktionsrate ist sehr oft wertvoller als 20.000 Kurzzeitbesucher, die beim nächsten Mal ein noch größeres Versprechen benötigen, um wieder auf die Seite zu kommen. 

Ich stelle mir das ganz plastisch so vor: Wollen wir, dass potenzielle Kunden an einem Verkaufsstand kurz "Hallo" sagen und wieder verschwinden? Oder wollen wir sie für einen intensiven Dialog mit unserer Marke gewinnen? Die Antwort sollte klar sein. 

Felix Willykonsky, Head of Social beim wachsenden Streaming-Riesen DAZN und Content-Experte, sieht es ähnlich. Auf GrowSmarter schrieb er: 

Wir werden an Reichweite und Markenawareness gemessen, aber wir schauen in erster Linie auf das Nutzerfeedback. Die Liebe der Community ist mehr wert als alles andere.

In einer Pulizzi-Nussschale zusammengefasst: SEO und Storytelling – das funktioniert effektiv nur auf Augenhöhe.

Den ersten Teil unserer Content-Perspektive kannst du jetzt hier lesen: Tour de Marketing!

In diesem Artikel
Hannes Hilbrecht

Hannes, Jahrgang 1993, gestaltet Content-Marketing-Projekte für die Digital-Agentur MANDARIN MEDIEN. Schrieb zuvor für Medien wie ZEIT ONLINE, den Berliner Tagesspiegel oder NDR.de. Ist nebenbei Fußballkolumnist. Erzählt jedem, den er trifft, dass er LeBron James interviewt hat. Für euch erreichbar unter: hannes.hilbrecht(ett)growsmarter.de

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