Content Marketing: Weniger Werbung, mehr Story
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Content Marketing: Weniger Werbung, mehr Story

GrowSmarter-Autor Hannes Hilbrecht spricht bei der Konferenz CONTENTIXX in Berlin über Content Marketing und Journalismus. Ein persönliches Plädoyer für mehr Content mit Authentizität.

von Hannes Hilbrecht
Leser verdienen auch auf Corporate Blogs echten Durchblick. © Photo by Emily Major on Unsplash

"It's better to burn out than to fade away".

Mit Anfang 20 habe ich meine Unschuld verloren. Und das hat auch etwas mit dieser Songzeile von Neil Young zu tun.

Kurt Cobain, der Godfather des Grunges, schrieb den Vers unter seinem Abschiedsbrief, ehe er sich eine Kugel in den Schädel jagte. Ich zitierte Neil Young nur für meinen Fußballblog, und widmete den Satz einem Mann, den ich für das Opfer einer Verschwörung hielt. Der Trainer der Mannschaft, über die ich damals schrieb, war entlassen worden. Für mich eine hanebüchene Ungerechtigkeit. In einer emotionalen Analyse, die rückblickend nur das Geschreibsel eines Fanboys war, verurteilte ich alle Vereinsoffiziellen und schützte den entlassenen Trainer.

Ich beging einen Fehler, weil ich mich mit einer guten Sache gemein machte. Der Blog, der teilweise Zehntausende Leser erreichte, der anders war als die anderen Medien, verlor seine Unschuld, weil ich ihn – unbewusst – zu einem PR-Instrument geformt hatte. Unsere Inhalte waren plötzlich werbig. Folglich ging es bergab. Unser Alleinstellungsmerkmal war fürn Arsch, und damit verflog auch unsere Reichweite. Die allerwenigsten Menschen auf dieser Welt mögen Werbung.

Mittlerweile ist es mein Beruf, mich mit Dingen gemeinzumachen. Nach Stationen bei Medien wie ZEIT.de, dem NDR und einer Hospitanz beim Tagesspiegel habe ich mich für das Marketing-Universum entschieden. Auch aus finanziellen Motiven, aber vor allem wegen der Perspektive. Medien darben, Honorare schrumpfen; in der Werbewelt kann man dagegen noch etwas bewegen. Im Content Marketing sehe ich große Potenziale. Und ich glaube daran, dass wir auch im sogenannten Corporate Publishing hochkarätige Inhalte für die User erstellen können, die genauso vortrefflich erscheinen wie die Arbeiten von renommierten Redaktionen. Ich spreche von Stories und Beiträgen, die vordergründig Begeisterung beim Leser schüren und über diese Emotionen Markenwahrnehmung generieren. Für mich liegt darin der Schlüssel zu einem erfolgreichen Erstkontakt zwischen Marke und dem potenziellen Kunden. Echter Inhalt. Nachhaltige Begeisterung. Wenig Werbung.

1. Die Menschen sehnen sich nach Echtheit

In Zeiten, in denen das Vertrauen in Institutionen wie Staat, Medien oder staatstragende Konzerne bedauerlicherweise und aufgrund von vielen verschiedenen Ursachen schwindet, ist Authentizität ein steigender Wert. Wer den Medienmarkt beobachtet oder ab und zu durch Bahnhofskioske schlendert, sieht, dass das Verlangen nach "echten Stories" bei den Menschen steigt. Beinahe sechzig Jahre nach Truman Capotes Tatsachenroman "Kaltblütig" fluten True Crime Magazine und Podcasts den Markt. Die besten Thriller schreibt nicht Sebastian Fitzek, sondern das wahre Leben. In den USA hat ein politischer Tauchsieder dafür gesorgt, dass die New York Times, eine Herzkammer des Journalismus, wieder wirtschaftlich gedeiht. Weil sie wie kaum ein anderes Medium mit echten und ungefärbten Inhalten assoziiert wird.

Unternehmen sollten Wahrheit und Aufrichtigkeit nicht als Herausforderung begreifen, sondern als einzig gangbaren Weg und Chance wahrnehmen. In echten Inhalten liegt der Schlüssel zum Vertrauen der User – und damit zu mehr langfristigen Engagement dieser als Kunden.

Hier können Marken von Autoren mit journalistischem Anspruchsdenken profitieren. Auf so manchen Corporate Blogs oder in Magazinen ereilt Lesern nämlich das Gefühl, "verarscht" zu werden. Ein Beispiel: Händler und Vertreiber von sogenannten Superfoods wie Spirulina oder Acai. Die Amazonasbeere wird beispielsweise als "medizinischer Alleskönner" angepriesen, also als Mittel, das Krebs und Herzinfarkten vorbeugt. Natürlich ist "Acai" auch ein potenter Helfer bei Männerproblemen, sozusagen ein Lastkran für die verbrauchte Manneskraft. Zu schön, um wahr zu sein. Je größer und großartiger die Versprechen, desto mehr Zweifel mehren sich beim mündigen Leser. Vor allem sind diese Fakten so hingebogen, dass sie nur ein "bisschen stimmen". Das reicht langfristig nicht.

2. SEO kann journalistisch wertvoll sein

SEO und ich, das war lange Zeit eher so eine Bukowski-Romanze ohne Happy End. Ein Hauch von Sympatie war immer da, die Möglichkeiten, die diese Strategie bot, fand ich faszinierend. Aber ich fühlte mich vom Key-Word-Bingo als Autor gegängelt und entmündigt. Ich zog die inneren Wände hoch und sagte mehrmals öffentlich: "Ich lass mir doch nicht von so einem SEO-Häuptling vorschreiben, welche Sprache ich in einem Text verwende."

Dann hatten SEO und ich unseren Moment. Ich verstand, was die Suchmaschinenoptimierung eigentlich für mich bedeutet: Es ist DIE verlässliche Möglichkeit, um herauszufinden, was die Menschen interessiert; also eine tragende Säule in der Artikelarchitektur. In Suchmaschinen geben sie ganz ungeniert preis, was sie wissen wollen; welche Themen sie berühren und zu welchen Fragen sie Erklärungen suchen. Zurzeit schreiben wir für einen Kunden beispielsweise über "Beckenbodenübungen gegen vorzeitige Samenergüsse." Das Suchvolumen ist interessant, die Story abstrakt genug, um in den Social Media Interesse zu erzeugen. Gleichzeitig spricht das Thema Männer UND Frauen an. Eine Story, inspiriert durch eine einfache Keyword-Recherche.

3. Starke Geschichten binden Aufmerksamkeit

"Will to live." An einem frostigen Februartag muss Gary Edinger diesen Lebenswillen zeigen. Edinger ist Holzfäller, ein erfahrener Mann, damals knapp sechzig. Doch in einem entlegenen Waldstück im US-Bundesstaat Wisconsin trennt sich Edinger bei einem Unfall einen Unterschenkel ab. Überall Blut. Kälte. Der Truck ist weit weg geparkt. Edinger robbt los, sein Körper malt eine rote Spur in den Schnee. Entweder er besiegt den Schmerz, oder er erfriert, ehe er verblutet ist. Edinger schafft es zum Auto und kann Hilfe alarmieren.

In der "brand eins" über Kommunikation wurde dieses spannende Musterbeispiel für epischen Content vorgestellt, dass der Outdoor-Klamottenhersteller "Filson" aus Seattle produzierte. Der hatte Edingers Story in Bewegtbild ein Denkmal gesetzt. Die Werbekurzfilme der Marke sind keine Commercials. Die Produkte sind kaum präsent und schon gar nicht zentrales Thema. Filson nutzt vielmehr starke Stories, die mit der Marke an sich wenig zu tun haben, um sich als Geschichtenerzähler zu inszenieren. Die Strahlkraft der porträtierten "Heros" färbt unmittelbar auf die Marke zurück und erzeugt eine positive Markenwahrnehmung. Die Botschaft, die auf Empfängerseite zwangsläufig ankommt: "Helden tragen Filson."

Es entsteht eine WIN-WIN-WIN-Situation: Die Zielgruppe kann mit tollem Content die Zeit totschlagen. Die Helden bekommen eine Bühne für ihre Story. Und die Unternehmen profitieren davon, dass inspirierende Menschen mit ihren Marken assoziiert werden. Es entsteht eine sehr positive und emotionale Brandawareness.

Das Erfolgsgeheimnis ist simpel: Nachhaltig erfolgreiches Content Marketing ist nicht damit beschäftigt, vielfältig zu zeigen, wie geil die eigenen Produkte sind. Gutes Content Marketing lässt im B-to-C-Bereich die eigenen Interessen ein, zwei Schritte zurückschreiten und erzählt starke Stories oder erfüllt andere Leser- und Zielgruppenbedürfnisse. Hornbach, ein Musterbeispiel für famosen Content, erklärt auch nicht, wie toll ihre Spaten und Hammer funktionieren. Sondern eher, was man mit Hornbachprodukten so alles machen kann. Oder wie sich Do-it-yourself-Talente den teuren Estrichleger sparen können. In Zeiten der Handwerker-Knappheit stimulieren die Tutorials ein großes und akutes Interesse der Zielgruppe.

4. Auch das "Wer" zählt

Wolf Lotter, Autor bei der brand eins, schrieb unlängst einen famosen "Schwerpunkt" über Kommunikation. Dabei zitiert er den Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick. Der schrieb im Jahr 1967 den bekannten Satz: "Jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten. Und genauso, wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren."

Diesen Punkt möchte ich erweitern: Es geht nicht nur darum, was wir sagen oder nicht sagen. Sondern auch darum, WER etwas erzählt oder nicht erzählt. Alleine die Wahl des Autors kommuniziert so einiges. Ein starkes Beispiel ist das US-Sportmagazin "The Players Tribune". Dort schreiben keine Redakteure oder Journalisten (nur als Ghostwriter), sondern die Sportler selbst. Alleine das wertet die Beiträge auf, ehe der erste Buchstabe auf das digitale Pergament getippt wurde. Es entsteht eine besonders emotionale Bindung zwischen Autor, Content und Leser. Außerdem stärkt jeder Sportler, der für den Players Tribune schreibt, das Image des Magazins. Zusätzlich profitiert der Publisher von den Social-Media-Reichweiten der Athleten. Dabei ist der Tribune nicht mal journalistisch motiviert. Er schafft lediglich eine attraktive Werbeumgebung für Marken wie Nike oder POWERADE, ist also nichts anderes als Content Marketing.

Mit besonderen externen Gastautoren arbeiten wir auch in unseren agentureigenen Content-Projekten. Sie können nicht nur exklusive Insights besonders ansehnlich darstellen, sondern die gesamte Plattform legitimieren und aufwerten, ohne dass der Leser ein Wort gelesen oder gehört haben muss. Alleine die Präsenz des Namens hübscht das Magazin und die damit verbundene Marke immens auf. Die Potenziale für das Seeding und eine virale Verbreitung versprechen viel.

Doch wie können Unternehmen Autoren mit Reputation gewinnen?

  1. Der wenig nachhaltige Weg: Sehr viel Geld bezahlen.
  2. Das Magazin oder den Blog besonders attraktiv und wertig gestalten. Kein "Promi" der Welt gibt sein Gesicht kostenlos für plumpe Werbung her. Wenn allerdings eine beschriebene Win-Win-Situation erzeugt wird, die Gastautoren ebenso von der Umgebung eines Mediums profitieren lässt, kann genau das gelingen. Ein Safeplace für die Story der Protagonisten kann Benefit genug sein, wie unsere eigenen Erfahrungen zeigen.

Eine Plattform entwickeln, die begeistert

Beherzigen wir die vier ersten Learnings, ist der Weg zu einer starken Plattform nicht mehr weit. Unternehmen können mit ihr eine einfache, aber sehr wertvolle Wirkung bei der Zielgruppe erzielen: Der hochklassige Content eines Corporate Publishers färbt nicht nur auf die Marke ab, sondern wertet gleichzeitig auch die Produkte auf.

Und das Allerschönste an einer authentischen, kreativen und zielgruppenzentrierten Bühne: Die Lust der Leser auf den starken Content einer tollen Marke verblasst nicht.

In diesem Artikel
Hannes Hilbrecht

Hannes, Jahrgang 1993, gestaltet Content-Marketing-Projekte für die Digital-Agentur MANDARIN MEDIEN. Schrieb zuvor für Medien wie ZEIT ONLINE, den Berliner Tagesspiegel oder NDR.de. Ist nebenbei Fußballkolumnist. Erzählt jedem, den er trifft, dass er LeBron James interviewt hat. Für euch erreichbar unter: hannes.hilbrecht(ett)growsmarter.de

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