Dilly, Dilly – warum Quatsch manchmal gut funktioniert

Eine derzeit allzu beliebte Szene: Mittelalterliche Untertanen, ein debil wirkender König und ein Zauberer, der dem Monarchen seine Künste vorführt. In diesem Fall: beliebige Gegenstände in Bier verwandeln. Nein, das ist nicht Game of Thrones oder der kühne Traum des Autors. Das ist amerikanische Bierwerbung.
Bud Light fährt seit einigen Jahren eine Kampagne, die verlässlich virale Clips ins Internet spült. Darin reitet ein Ritter namens Bud Light mit seiner blauen Rüstung durch die Weite, Gefangene träumen auf dem Richtblock und in der Folterkammer von einem letzten Schluck Leichtbier (Was wurde ihnen nur angetan?) und der König ist am besten mit Gerstensaft zu bestechen. Das einzige, das alle Spots neben dem Mittelalter-Setting eint: Der Trinkspruch "Dilly, Dilly". Wer ab und an US-Fernsehen guckt, zum Beispiel American Football oder die Kardashians, hört ihn fast jedes Mal. "Dilly, Dilly", solange bis die Ohr qualmen.
Aber was heißt "Dilly, Dilly" eigentlich? Bereits in den ersten Monaten nach Kampagnenstart suchten 300.000 User bei Google und Bing (nur ein Scherz) nach einer Begriffserklärung. Eine Antwort gab Miguel Patricio, Marketing-Chef von Anheuser-Busch Anheuser-Busch ist einer der größten Brauerei-Gruppen der Welt. Bud Light gehört zu diesem Imperium., dem Magazin Business Insider: "Dilly, Dilly bedeutet gar nichts. Das ist das Schöne daran. Wir alle brauchen doch die Momente von Nonsens und Spaß. Und Dilly, Dilly repräsentiert genau das."
Doch warum ist diese Botschaft so erfolgreich? Wie brannte sich das stupide "Dilly, Dilly" so massiv in die Köpfe der Zielgruppe ein? Sechs Gründe für den Erfolg:
1. Neue Reize
Der Mensch ist neugierig. Wenn unser Gehirn etwas hört, was zu sonderbar ist, um es zu verstehen, dann sucht es nach Antworten. In unserer Epoche des Smartphones sind diese nur wenige Bewegungen auf dem Touchscreen entfernt. Das Sonderbare an "Dilly, Dilly" verleitete die Beworbenen also früh, sich mit dem werbenden Unternehmen auseinanderzusetzen. Die Menschen suchten nach einer Erklärung und verbrachten in den Suchmaschinen Zeit mit Bud Light. Und genau das ist auch ein Markenerlebnis. Kurzum: Wer Aufmerksamkeit will, muss mutig sein und neue Reize auf die Zielgruppe loslassen.
2. Aufmerksamkeits-Catching bei Abgelenkten
Apropos Smartphone. Fernsehwerbung ist für Bud Light noch immer einer der wichtigsten Kanäle. Doch der Kanal Fernsehen verändert sich rasant. Und das nicht nur, weil er in Zukunft viel weniger Menschen erreichen wird. Auch der Kampf um die Aufmerksamkeit direkt vor dem Fernseher ist ein härterer geworden. Jeder kennt es: Spätestens wenn der Film pausiert oder Spielpause ist, checken wir Nachrichten und Eilmeldungen auf dem Smartphone. Wir legen womöglich die Wäsche zusammen oder holen uns eine Aldi-Frikadelle mit einem Klecks Tutower Senf aus dem Kühlschrank. Das "Dilly, Dilly" sorgt dafür, dass der visuell abgelenkte Zuschauer durch das Hören trotzdem einen Markenimpuls erhält. Dieser Trinkspruch ist die unverwechselbare Signatur eines jeden Bud-Light-Clips.
3. Ein Polarisierer
Obwohl das "Dilly, Dilly" ein außergewöhnlich hohes Nervlevel besitzt, kommen die meistens Clips gut an. Der Quatsch verwandelte einige Biertrinker zu leidenschaftlichen Fans. Sie äffen das Anprosten auf Partys nach und influenzen so Freunde und Bekannte. Mehr noch: Zwei Wochen nach dem Kampagnenstart wurden bei Amazon die ersten Shirts mit dem Spruch verkauft. Ohne das Zutun der Brauerei und der Agentur übertrugen Laien das Fernsehen in die Fußgängerzonen. Ob Anheuser-Busch diese Markenrechtsverletzung mit Klagen ahndete? "Nein, jeder soll Dilly, Dilly in seinem Leben haben", sagt Patricio.
Natürlich gibt es auch andere, die Genervten nämlich. Doch selbst die steigern mit ihrer lauthalsen Abneigung über Social Media den Werbeeffekt. Man denke nur an Nike und Gillette. Die Big-Player profitieren noch immer davon, dass altbackene (um es vorsichtig auszudrücken) Kunden ihre Rasierer und Turnschuhe verbrennen oder wegwerfen – und diesen dümmlichen Akt der Selbstkasteiung auch noch filmen.
Die schönere Form der Polarisierung: Als in Deutschland Seitenbacher-Müsli und Carglass die Zuhörer malträtierten, beschäftigten sich Kreative wie der Comiczeichner Ralph Ruthe oder der Comedian Paul Panzer mit der kollektiven Überreizung des Radiovolks. Oder anders formuliert: Sie produzierten kostenlose Premiumwerbung.
4. Simple, but significant
Welche Werbeslogans bleiben wirklich wortwörtlich in den Köpfen kleben wie der Honig in der Lippenfalte? Mir fallen nur drei auf Anhieb ein:
- Waschmaschinen leben länger mit Calgon.
- Das Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen.
- Morgens halbzehn in Deutschland.
Es gibt viele gute Werbeslogans und Kampagnen-Signaturen. Aber viele dieser guten Lines verrauschen im Alltagslärm. Selbst wenn wir sie gut finden und teilen wollen, bekommen wir die meisten dieser Slogans nur noch fragmentiert zusammen. "Dilly, Dilly" hingegen ist simpel, but signifcant.
5. Eine Prise Popkultur
Bud Light orientierte sich sehr früh sehr nah an der Popkultur. Das Ritter-Mittelalter-Setting ist eine Konsequenz aus dem Erfolg von "Game of Thrones". Denn die Leidenschaft zu einer Serie kann in der vielschichtigen Zielgruppe der Biertrinker schon der größte gemeinsame Nenner sein. Der Trinkspruch wurde folgerichtig speziell auf den Start einer neuen Staffel der Serie konzipiert. Ein Ansinnen der Marketing-Verantwortlichen: GOT-Fans gucken die Folgen immer häufiger zusammen mit Freunden. Doch welches Bier sollen sie zu den gemeinsamen Seriennächten mitbringen? Eine Stresssituation, die das Unternehmen für sich ausnutzen wollte.
Erst vor wenigen Monaten kam es zu einem Mash-Up von "Dilly, Dilly" und der HBO-Serie. Mash-Up kannten die User bislang vor allem aus der Musik. Populäre Songs werden künstlerisch so miteinander verwoben, dass neue Hits entstehen. Zum Beispiel verschmelzen Gotye und U2 zu: "Without or without somebody that i used to know" oder Rammstein und Wild Cherry zu: "Play That Funky Music Rammstein".
Wie das Bud Light-Game of Thrones Mashup aussah? Unter anderem entflammte ein Drachen ein ritterliches "Dilly, Dilly"-Turnier. Auch fiel der ehrenwerte Ritter Bud Light dem Serienschurken Gregor Clegane zum Opfer. Ein Coup, der unfassbar erfolgreich war und alleine beim YouTube-Video fast 95.000 positive Reaktionen generierte.
6. Testen wie die Fernsehstudios
"Dilly, Dilly" war nicht die erste Marketing-Kreation dieser Art von Anheuser-Busch. Viele Jahre zuvor hatte die Großbrauerei für die Marke “Budweiser” die erfolgreiche wie eifrig beklatschte Kultkampagne “Wassup” gestartet.
"Wassup", ein Pilotprojekt, unterlag dabei einer langwierigen Testphase mit großer Audienz. Anheuser-Busch startete die Kampagne erst, als die Testergebnisse sehr positiv ausfielen. Für den renommierten Werbeexperten David Sutton ein normaler Prozess. Er sagte dem Magazin Inc.: "Ads sind wie Filme. Filmstudios testen stetig ihre Konzepte, bevor ein Film das Tageslicht erblickt. Werbung geht durch den gleichen Prozess."
Auch "Dilly, Dilly" wurde intensiv getestet, scheiterte aber in dieser Phase. Die Testergebnisse waren mies. Doch das Experiment wurde trotzdem gewagt. "Wir dachten: Die Konsumenten werden es schon kapieren", so Marketing-Chef Miguel Patricio.
Rezeption:
"Dilly, Dilly" klingt nach Quatsch, weil es genau das ist: Quatsch. Aber eben in einer wohl durchdachten Form.
Erfolgreiche Konzepte zu kopieren, also einen Trend mitzugehen, ist eine beliebte Strategie im Marketing. Manchmal ist der Mainstream sogar alternativlos, weil Unternehmen konkurrenzfähig bleiben müssen. Doch dieses Beispiel von Bud Light zeigt: Es geht auch mit völlig neuen Reizen – wenn sie einer wohlüberlegten Strategie entspringen.
Klar ist: Risikolos ist dieser Weg nicht. Bud Light gehört zu einem Bierimperium, es besitzt ordentlich Spielgeld. 98 Prozent der Unternehmen könnten sich so eine Kampagne nicht leisten, ohne die Stabilität der Firma zu gefährden. Denn wie Experte David Sutton sagt, hängt am Ende alles an den Sales:
Great story without sales is art. Great story with strategy is marketing.
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