Wie Netflix für das Marketing sensibilisiert
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Wie Netflix für das Marketing sensibilisiert

TV-Serien sollen uns prächtig unterhalten. Dabei können sie viel mehr: Zum Beispiel für Marketing-Basics sensibilisieren. Sieben Evergreens, sieben Learnings.

von Hannes Hilbrecht
© Photo by Clay Banks on Unsplash

Netflix ist nicht so erfolgreich, wie Netflix gerne erfolgreich sein möchte.

Das ist kein schöner erster Satz. Aber es ist eben auch keine schöne Nachricht. Netflix hat Ärger mit seinen Aktionären. Der Streaming-Dienst gewinnt nicht so viele Abonnenten wie geplant.

Dieser Text kann Netflix mit seiner schieren Reichweite vielleicht etwas helfen. Also zwei bis drei neue Follower auftreiben. Wir entknoten nämlich einen Irrtum und zeigen eine andere Perspektive auf unser Streamingvergnügen.

Mehr als ein Vergnügungstool

Wir irren, wenn wir glauben, dass Prime und Co. nur als Tools für das einsame Vergnügen des Zeittotschlagens, der Verführung eines Dates oder dem Überbrücken von Beziehungsproblemen taugen. Wenn wir auf der Couch lümmeln und unsere Lieblingssendungen glotzieren, "Balddeutsch" für Fernsehen gucken. Neologismus by GrowSmarter. machen wir in Wirklichkeit besonders bequeme Weiterbildung. Und das gilt nicht nur bei MadMen, sondern für sämtliche Programme. Eine Doku über den afrikanischen Ameisenbären bringt uns vielleicht den entscheidenden Impuls für ein neues Produkt oder eine alternative Strategie.

Sieben Serien haben mich zum Beispiel für Marketing-Basics sensibilisiert. Und jetzt bitte diesen Artikel “durchbingen.”

1. USPs lauern in den Details

(Breaking Bad)

Walter White ist nicht der beste Mentor.

In Breaking Bad wandelt sich der Chemielehrer Walter (berauschend gespielt von Bryan Cranston) vom lungenkrebskranken Vorstadtvater zum lokalen Drogenbaron. Gemeinsam mit seinem Schüler Jesse Pinkmann kocht er das beste Crystal Meth Albuquerques und killt irgendwann sogar die härtesten Typen der Stadt.

Beim dritten Ansehen der Serie (ja, so gut ist sie) fiel mir das wichtigste Erfolgsgeheimnis seines Drogen-Joint-Ventures auf (klammert man die “hohe Qualität” des Stoffes mal aus): Durch ein chemisches Versehen glänzt das Meth von White und Pinkmann plötzlich nicht mehr wie üblich weiß-kristallin, sondern babyblau. Ein Missgeschick, das Walter White zunächst schockiert. Doch das “gute” Produkt hebt sich nun auch optisch von der Konkurrenz auf den Straßen und Methbuden ab, besitzt ein individuelles Merkmal. Erst dieser USP macht Whites Aufstieg so rasant möglich.

Learning: Auch wenn immer die Gefahr besteht, dass die Konkurrenz rasch nachzieht: Suche nach den kleinen Details, mit denen du deine Produkte von anderen abheben oder abgrenzen kannst. So, wie es mymuesli mit den runden Dosen gelingt.

2. Signature Moves sind Gold wert

(How I Met Your Mother im Haus des Geldes)

Le-gen-där.

Dieses einfache Wort hat Seriengeschichte geschrieben. Millionen Sitcom-Fans hören es und denken sofort an einen gut aussehenden Mann: Neil Patrick Harris. Er spielte in How I Met Your Mother den dauer-overdressden Serienheld Barney Stinson. Und der nutzte seinen Lieblingsausruf bis zum Erbrechen. 

Ähnliches schaffte auch Haus des Geldes. Nur, dass die Serie ihren Signature Move nicht verbal kommuniziert. Dutzende rote Overalls und Salvatore-Dali-Masken – dieser visuelle Overload prägte sich in die Köpfe der Zuseher ein. Der Look wurde zu einem wirkungsvollen Wiedererkennungsmerkmal.

Learning: Je häufiger du einen starken Reiz wiederholst, desto fester prägt er sich ein. Das gelingt womöglich nicht sofort. Doch Signature Moves bleiben ein langfristiger Invest in eine starke Marke.

3. Schütze und schätze deine Marken-DNA

(Friends)

Immer diese eine Sofa-Sessel-Kombi. Irgendwann ist aber auch mal genug. Wer schaut sich über zehn Jahre immer wieder das gleiche Setting und dieselben Menschen an, hört fast nur identische Witze? Ja richtig, die Fans von Friends. Und ich.

Noch heute wird Friends rauf und runter geschaut. Netflix musste für die Rechte jüngst sogar mehr Dollars berappen als beim vorherigen Rechteeinkauf. Warum? Weil sehr viele Heavy-Netflix-User drohten, ihr Abonnement zu beenden, falls die Sitcom aus der Mediathek verschwände. Gute Freunde lässt man nicht so einfach fallen.

Eine Serie, die vor fünfzehn Jahre endete, ist also immer noch eine Reichweitenkuh. Wie kommt das?

Das Feuilleton schürfte bereits mehrmals nach dem Erfolgsgeheimnis der Clique um Ross, Rachel, Chandler, Joey, Monica und Phoebe. Die plausibelste Erklärung für den Dauererfolg: Es ist diese unerreicht hohe Vertrautheit zum Cast.

Kein Charakter stirbt. Alle Figuren wandeln sich zwar, kriegen Kinder, heiraten oder Po-doubeln Al Pacino, bleiben aber doch die gleichen sympathischen Halunken aus der ersten Folge.

Im gleichen Café brüht der gleiche, campinoblonde Barista den gleichen Kaffee für die gleichen Leute.

So einfach lässt sich das Erfolgskonzept in einem Satz destillieren. Friends ist das serielle Kontra gegen eine der Kernaussagen von Hannes Waders wunderbarem Song “Heute hier, morgen dort”. Wader singt: “Es ist mir längst klar, dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, wie es war.”

Stimmt wahrscheinlich fast überall, nur nicht im Café Central Perk. Da ist immer noch 1994. Und die Leute lieben es.

Learning: Egal wie innovativ deine Werbung, dein Produkt oder deine Strategie sein soll: Verliere nie, und damit meinen wir auch wirklich NIE, deine DNA. Machst du das, riskierst du womöglich nicht nur viele Kunden, du brichst ihnen auch unwiderruflich das Markenherz. Ach ja: Viele Grüße an Capri Sun!

4. Denke nur an deine Zielgruppe

(Californication)

Wenn ein Film für einen ernsthaften Furor in Utahs Bibelstuben sorgt, kann er nur gut gewesen sein. Wir gedenken und danken an dieser Stelle dem Film Philadelphia. Darin spielt Tom Hanks einen aidskranken, homosexuellen Anwalt. Kaum vorstellbar: Im ganzen Land, besonders im evangelikalen Utah, beschwerten sich Menschen genau darüber. Ein O-Ton der Pseudo-Nächstenliebenden: “Wie kann man einen Schwulen so menschlich darstellen.” Auweia.

Auch die Serie Californication heizte so manch inquisitorische Fantasie an. Serienheld David Duchovny alias Hank Moody stolpert nämlich halbnackt durch das mit Brüsten und Nippeln tapezierte Los Angeles. Seine erotischen Träume handeln von einer Nonne.

Moody schläft in der Show sogar mit einer Minderjährigen, die ihn beim Verkehr ohnmächtig schlägt. Ja, die Serie hat in etwa das Schamgefühl eines grapschenden Orang(e)-Utans. Nur eben mit tausendmal mehr Empathie und Humor.

Das laute Entsetzen der amerikanischen Frigiden vibrierte mächtig durch die Medien. Der produzierende Sender Showtime sollte Californication und Duchovny aus dem Programm streichen. Ein alter Sack mit einer Minderjährigen, das stieß bei Kirchenvertretern auf Entsetzen.

In der Nussschale: Die Serie wurde ein Mega-Erfolg in ihrer Zielgruppe. Die Menschen, für die Californication konzipiert war, wurden durch die medialen Druckwellen des konservativen Protestes nur noch mehr erreicht und angefixt.

Learning: Wir müssen verdammt nochmal nicht jedem gefallen wollen. Beliebigkeit ist der schnarchende Tod der positiven Emotion. Wichtig ist, was die Zielgruppe mag und will.

Beliebigkeit ist der schnarchende Tod der positiven Emotion.

5. Weniger ist mehr

(Dexter)

Als Vierzehnjähriger war der Montagabend bei RTL2 mein Highlight der Woche. Erst Californication, dann Dexter, der Verbrecher killende Blutspuren-Analyst aus Miami.

Dexter lebte nicht nur vom morbiden Darsteller Michael C. Hall, sondern auch vom Kontrast zwischen kubanischer Tanzmusik und so mancher Blutfontäne. Dazu gesellte sich der innere Konflikt des Zuschauers, ob man einen Serienkiller nach dem Gesehenen noch immer zum imaginären Kneipenbro oder Schwiegersohn machen darf.

Bei Dexter ging dank seiner Präzision und seines erlernten Rhythmus lange wenig schief. Wie schon das Intro der Serie verrät, läuft beim Hauptprotagonisten alles in rituellen Strukturen ab. Ein Opfer nach dem anderen. Nie zwei Verbrecher gleichzeitig umbringen, zerteilen und im Atlantik versenken.

Was die Serie sehr gut zeigte: Immer, wenn Dexter von seinen gewohnten Abläufen abwich, erntete er Probleme. Wollte er zu viel, fiel seine Maskerade zusammen.

Learning: Nicht alles auf einmal wollen. Langfristiger Erfolg baut sich in kleinen Schritten auf. Und wer einmal überreizt, kann alles verlieren.

6. Konsequentes Storytelling

(Chernobyl)

Selten hatte mich eine Serie so an das Lernsofa gefesselt wie die HBO-Produktion Chernobyl. Und das, obwohl doch schon jeder den Ausgang kennt und mindestens eine Doku bei YouTube dazu verschlungen hat.

Da die Serie noch ganz frisch ist, spare ich die Detail-Spoiler mal aus. Sie ist mit fünf Folgen so kurz und präzise, dass tatsächlich jede Szene so innig verschlungen werden muss wie die erste Süßkirsche im Juli. Genau das ist die Stärke: Chernobyl verfällt nicht den üblichen Serien-Stereotypen und das Format wird nicht unnötig aufgebläht. Es werden nicht hundert Charaktere geschaffen oder integriert, damit die Produzenten die Story über vier Staffeln strecken können.

Learning: Less is more. Gute Geschichten erzählt man konsequent. Und ja, das sagen ausgerechnet wir GrowSmartianer, die Liebhaber des aufgeblähten Textes.

7. Dinge mal offenlassen

(Die Sopranos)

Dieser verdammte schwarze Bildschirm.

Ich hörte schon Leute über das Ende der Sopranos plärren und schwärmen, als ich nicht mal wusste, wer oder was die Sopranos sind. Auch über ein Jahrzehnt nach dem Serienende kann ein Kneipenabend derbe eskalieren, wenn die Menschen über dieses einprägsame Finale streiten.

Achtung: Mega-Spoiler

Das Ende der Sopranos ist eigentlich kein Ende, sondern einer der fiesesten Cliffhanger der TV-Geschichte. Sterben Tony und seine Familie? Oder landen sie doch nicht in einer Blutlache? Die Fantasie wird ähnlich angekurbelt wie beim Inception-Kreisel, der mutmaßlich schon ganze Familien entzweien konnte. Kurzum: Das Finale nistete sich in den Köpfen der Menschen für Jahrzehnte ein.

Das Ende einfach mal offenlassen – das ist eine High-Risk-, aber auch eine High-Impact-Strategie. Doch wie können wir diesen Ansatz in die Werbung übertragen?

Ein Beispiel: Ich habe mich letztens in eine Minizapfanlage verliebt. Ich sah bei Facebook ein Werbevideo. Doch fehlte ein Link zum Shop. Nicht nur das: Es gab keinen Preis und auch keine weiteren Infos im dazugehörigen Social-Media-Post. Da war nichts weiter als dieses kleine Highlight der Ingenieurskunst. Die Minizapfanlage (fasst zwei Liter, hält diese aber 14 Tage kühl) brummte sich in mein Herz. Doch das Ende des Clips war ähnlich enttäuschend wie der letzte Abspann der Sopranos. Ich fragte mich: Wo kriege ich dieses Ding jetzt her?

Ich habe mich letztens in eine Minizapfanlage verliebt.

Erst nach einer Recherche fand ich den Anbieter, den Shop und den Preis. Und tja, da war ich schon auf der Seite, hatte Zeit in die Suche investiert. Da verlässt man so einen Shop nicht einfach.

Ich, 26, habe jetzt meine eigene Zapfanlage. Oder: Wie gute Werbung uns manipuliert.

PS: Warum wir künftig keine Gifs mehr verwenden, lest ihr hier: #nachhaltigesweb

In diesem Artikel
Hannes Hilbrecht

Hannes, Jahrgang 1993, gestaltet Content-Marketing-Projekte für die Digital-Agentur MANDARIN MEDIEN. Schrieb zuvor für Medien wie ZEIT ONLINE, den Berliner Tagesspiegel oder NDR.de. Ist nebenbei Fußballkolumnist. Erzählt jedem, den er trifft, dass er LeBron James interviewt hat. Für euch erreichbar unter: hannes.hilbrecht(ett)growsmarter.de

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