Business Ball: Die Stereotypen sind out
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Business Ball: Die Stereotypen sind out

Steffen Baumgart ist der vielleicht spannendste deutsche Fußballtrainer. Doch von ihm können nicht nur Fußballer, sondern auch Personaler lernen. 

von Hannes Hilbrecht
Symbolbild: Der Griff nach den Wolken. Fußballtrainer Steffen Baumgart ist er gelungen. © Photo by Samuel Zeller on Unsplash

Bald vier Jahre ist es her, dass ich Steffen Baumgart in seiner Berliner Trainerkabine besucht habe. Echtes Schietwetter damals, der Regen fiel in satten Streifen aus dunkelblauen Wolken. Seine Jungs vom Berliner Athletik Klub konnten nicht mal auf dem Feld trainieren, so schlecht war der Zustand des Platzes.

Baumgart saß also da in seinem kleinen Kabuff. Eine Magnettafel an der Wand, Trainingsjacken überall, und ein Laptop, der ähnliche Geräusche machte wie eine startende Boeing. Baumgart schaute so knorrig drein wie er früher für Hansa Rostock, Union Berlin und Energie Cottbus spielte. Hart, unbeirrbar, der Blick ernst, überlegt, nach vorne. Nach einer großen Trainer-Laufbahn sah das trotz dieser Entschlossenheit damals nicht aus. Eher nach harter Arbeit. Aber Baumgart sagte sich, "egal, ich mache meinen Job, und ich mache ihn gut" - so wirkte es jedenfalls.

Vor etwas mehr als einer Woche ist Steffen Baumgart mit dem SC Paderborn in die Bundesliga aufgestiegen, mit einer Mannschaft, die vor ziemlich genau zwei Jahren zu schlecht für die Dritte Liga war. Kein Scherz. Die Realität. Von ihm und seiner Geschichte können nicht nur Fußballer und Trainer lernen. Jeder mit Personalverantwortung kann sich hier was abgucken. Sein Erfolgsrezept beruhte nämlich in erster Linie auf ungewöhnlichem Recruiting.

1. Die Stereotypen sind out

Jürgen Klopp ist der populärste deutsche Fußballtrainer. Klopp kennen und schätzen sogar viele Frauen und Männer, die dem Fußball eigentlich nichts abgewinnen können. Sein Charme und sein Witz brechen sogar Betonwände. Doch noch vor ein paar Jahren, kurz bevor Klopp in der Fußballwelt richtig erblühte, verzichtete ein bekannter deutscher Verein auf seine Anstellung. Der profane Grund: Klopps Außenwirkung. Zerrissene Jeans, Vollbart und Strubbelkopf – das passte nicht zum seriösen Wunschbild eines renommierten Fußballvereins.

Steffen Baumgart ist ein ähnlicher Fall. Vor ein paar Monaten telefonierte ich mit einem international gut vernetzten PR-Berater für Spieler und Trainer. Und der sagte: "Baumgart ist sicher einer der spannendsten Trainer in Deutschland. Aber vielleicht zu rau im Auftreten für größere Aufgaben."

Wer Baumgart sieht, mit Basecap, Trainingsjacke, zotteligem Vollbart und strengem Blick, erwartet harten, durch Kampf geprägten Defensivfußball. Seine Rhetorik wirkt auf viele eher schroff als elegant. Tatsächlich ließ dieser Trainer aber den mutigsten Fußball in der 2. Bundesliga spielen. Wer den Weg Baumgarts schon länger verfolgt, könnte seinen wahren, temperamentvollen Stil schon früher erkannt haben. Das jedoch hätte einen Blick hinter den Vorhang aus Vorurteilen verlangt. Und die hatten viele. Sonst hätte Baumgart im Jahr 2014 nicht eine Kreisligamannschaft trainieren müssen.

Key-Learning: Den Luxus, nach Oberflächlichkeiten zu selektieren, kann sich kaum ein Unternehmen leisten. Die spannendsten Köpfe verbergen sich immer häufiger hinter ungewöhnlichen Fassaden.

2. Das große Plus der zweiten Chance

Der Moment des Scheiterns verrät mehr als der des Erfolgs. Will man es übertrieben darstellen, wirken die Hochgefühle des Sieges wie Blendgranaten. In Mannschaftssportarten ist das ein großes Problem. Fußballer, die sehr gut erscheinen, brechen oft ihre Versprechen. Sogar die Zahlen können lügen. Manche Spieler, die viele Tore schießen, können das nur durch die Hilfe viel unscheinbar auftretender Mitspieler, die das Spiel entscheidend für sie lenken.

Steffen Baumgart hingegen verpflichtete und förderte früh die vermeintlich gescheiterten Spieler. Hochtalentierte, begabte Sportler mit vielen guten Ideen, die auf dem Platz nicht funktionierten, weil es dem gesamten Team an Niveau oder Einstellung fehlte. Er gab jungen Menschen Chancen.

Der große Vorteil: Das Scheitern und der Umgang damit ist ein guter Filter für Persönlichkeitstypen. Während die einen resignieren, entwickeln die anderen das, was wir gerne als Biss bezeichnen. Sie nehmen die Niederlagen oder Enttäuschungen persönlich. Niederlagen sind ihnen ein Ansporn. Das setzt Motivation frei. Hochmotivierte, nach Verbesserung strebende Mitarbeiter sind eine der wesentlichen Lebensadern von funktionierenden Unternehmen. Mit genau diesen Spielertypen gelangen zwei Aufstiege hintereinander.

Key-Learning: Ein spannender Bewerber mit offenbar interessanten Skills war zuvor nicht erfolgreich? Eventuell ist das sogar ein großes Plus.

3. Wandel durch Veränderung

Mit einer zweiten Chance ist es nicht immer getan. Kevin Friedersdorf, Herausgeber von GrowSmarter.de und Gründer von MANDARIN MEDIEN schrieb in der Kolumne #Übertalent: "Ich möchte Jobs um die Menschen bauen und setze auf sehr fluide Stellenbeschreibungen. Interessen und Fähigkeiten verändern sich – und damit verändert sich auch ihr Anspruch an den Job." Genau diese Strategie beherzigte Baumgart.

Spieler wie Philipp Klement und Ben Zolinski, die Namen werden den meisten nichts sagen, bekamen unter Baumgart neue Anforderungen, die viel besser mit ihren individuellen Stärken harmonierten. Ihre Positionen wurden an ihr aktuelles Können angepasst.
Und wie abstrus es klingen mag: Unternehmen sollten diese Vorgehen für ihre Recruiting-Schleifen kopieren. Viele Firmen erhalten auf manche Stellenangebote besonders viele Bewerbungen, auf andere hingegen wenig. Wieso nicht aus dem großen Pool für den kleinen rekrutieren?

Key-Learning: Eher eine Nachfrage: Wie oft evaluierst du, ob Mitarbeiter, die seit mehreren Jahren auf einer Position arbeiten, an einer anderen Stelle womöglich viel besser aufgehoben wären?

Steffen Baumgart bleibt sich übrigens treu. Die ersten Transfers für das Abenteuer "Bundesliga" sind keine Kracher aus dem Ausland oder einer höheren Liga. Es kommen Spieler aus der 3. Liga, die zuletzt nur noch Ersatz waren. Manche würden das als "gewagt" oder verrückt bezeichnen. Man darf davon ausgehen, dass es etwas Anderes ist: ein Plan.

 

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Hannes Hilbrecht

Hannes, Jahrgang 1993, gestaltet Content-Marketing-Projekte für die Digital-Agentur MANDARIN MEDIEN. Schrieb zuvor für Medien wie ZEIT ONLINE, den Berliner Tagesspiegel oder NDR.de. Ist nebenbei Fußballkolumnist. Erzählt jedem, den er trifft, dass er LeBron James interviewt hat. Für euch erreichbar unter: hannes.hilbrecht(ett)growsmarter.de

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