Jetzt brauchen wir Anschieber
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Jetzt brauchen wir Anschieber

Die Corona-Krise zwingt Unternehmer und Führungskräfte zum Nachdenken. Wer wollen wir sein? Wie wollen wir kommunizieren? Ein Text über Worte und Taten.

von Kevin Friedersdorf
Kevin Friedersdorf tritt bei Events als Speaker auf. © Christian Möller, moegrafie.de

"Das sind doch nur ein paar verträumte Ossis."

Das dachten viele Unternehmer in Hamburg über uns, als wir 2004 in der Stadt aufschlugen. Wir mussten das gar nicht interpretieren. Die Ablehnung wurde uns beinahe überall unverhohlen ins Gesicht gesagt. Bis auf eine Ausnahme.

Auf einer dieser Business-Dating-Veranstaltungen streunten wir einsam umher. Bis wir einen erfolgreichen Hamburger Unternehmensberater kennenlernten. Das Gespräch verlief eher schleppend und oberflächlich, aber wir tauschten unsere Visitenkarten. Für uns ein Erfolg.

Kurz darauf begann ich meine damalige Vertriebsmasche. Ich graste die Websites und Profile meiner neuen Kontakte ab und schickte ihnen unerwünscht und ziemlich unverblümt mein Feedback zum digitalen Auftritt. Auch dem besagten Unternehmensberater sendete ich so eine Mail. Darin stand in etwa: "Ey, so seriös wie Sie im wahren Leben sind, kommen Sie online aber gar nicht rüber." Gut gemeint. Schlecht gemacht. Ich war 24. Der Mut kam aus dem Bauch, nicht aus dem Kopf.

"Setz dich auf deine Hände"

Der Mann lud mich zu sich ein, um mir im ersten ausführlichen Gespräch den Spiegel vorzuhalten. Eine echte Standpauke. Der Mann, der für die weitere Entwicklung unserer Firma mitentscheidend sein sollte, sagte zu mir: "Du musst aufpassen, was du sagst, und vor allem beachten, wie du dich mitteilst." Er, der ehemalige Schachmeister, hatte noch einen weiteren, für mich sehr gehaltvollen Tipp: "Bevor du einen Zug machst, setz dich auf deine Hände. Überleg lieber dreimal, ob das, was du vorhast, wirklich richtig ist."

Aus dieser Standpauke erwuchs in diesem Moment eine Mentor-Mentee-Beziehung. Nur wenige Tage nach unserer Begegnung öffnete dieser Mann sein Netzwerk, ohne dass wir ihm überhaupt einen Mehrwert dafür angeboten hatten. Wir fanden Anschluss, durften uns Marken und Unternehmen vorstellen. Dort wurden wir respektiert, wertgeschätzt, herausgefordert. Ein tolles Gefühl nach all den Nackenschellen.

Wie reden wir miteinander?

In den vergangenen Tagen habe ich mir meine Hände plattgesessen. Die Begleiterscheinungen der Corona-Pandemie stellen nicht nur eine wirtschaftliche, finanzielle und psychische Herausforderung dar. Sie zeigen, wie schädlich reflexartige Entscheidungen sein können. Wie ratsam der mehrmalige Perspektivenwechsel bei Themen wie dem Kurzarbeitergeld ist. Und wie umfassend gute Kommunikation in Krisensituationen wirkt. Selten zuvor waren Sprache und Inhalte für mich als Unternehmer und als Vater so wichtig. Wie spreche ich mit meinen Mitarbeitern? Wie mit Kunden? Wie mit der Familie?

Kommunikation ist in diesen Tagen wahrhaftig eine der wichtigsten Disziplinen. Sie kann intern wie extern zusammenschweißen. Ängste nehmen. Mut machen. Kommunikation kann das Commitment der Mitarbeiter stärken, kann Kunden und Partner in der Krise binden. Kommunikation ist so viel mehr als Sprache. Was wir sagen, ist Kommunikation, und was wir nicht sagen, auch. Alles was wir tun, oder nicht tun, sendet Botschaften.

Erst zuhören, dann handeln

Als Geschäftsführer, der die Verantwortung für 81 Einkommen und Existenzen trägt, war mir schnell klar, dass unsere interne "Krisenkommunikation" transparent erfolgen muss und rasch. Und das wir niemand anderes für mitunter schwierige und komplexe Botschaften vorschicken werden. In Momenten wie diesen sollten Führungskräfte direkt mit den Mitarbeitern sprechen. Auf Augenhöhe, mit aller Aufrichtigkeit. Egal, ob persönlich (schwierig zurzeit), im Text, im Video oder als Audiospur – die Mitarbeiter verdienen Tatsachen und die Präsenz derjenigen, die den Laden steuern.

Ein Schlüssel für unsere erfolgreiche interne Kommunikation, über die ich auf allen Ebenen dankbar bin, war ein simpler Zug. Bevor wir anfingen, erste Botschaften abzusenden, hörten wir aufmerksam zu. Was sind die Sorgen der Mitarbeiter? Welche konkreten Fragen treiben sie herum? Wo und wie können wir sofort unterstützen?

Eine Chance

Anhand dieser Umfrage, an der ein überwältigender Teil der Crew teilnahm, konnten wir dafür sorgen, dass wir nicht aneinander vorbeireden. Seit Beginn des Corona-Shutdowns kommunizieren wir enger, offener (z.B. transparent bei wirtschaftlichen Details wie verlorenen Budgets) und in einer höheren Taktung als jemals zuvor. Und das wirkt, wie nicht nur unser Entschluss zum solidarischen Kurzarbeitergeld zeigt.

Kollegen, die vorher nie gemeinsam in einer Kneipe saßen, stoßen mittlerweile digital per Videokonferenz an. Interdisziplinär rücken Teams zusammen, Silos brechen auf. Jeder ackert für jeden. Wer diese Entwicklungen sieht, dieses noch stärkere Zusammenrücken, der begreift nicht nur, welche Kraft Kommunikation entfalten kann, sondern auch welche Chancen und Möglichkeiten sich für alle Unternehmen in dieser Krise öffnen. Klar ist: Mehr Kommunikation kostet auch mehr Zeit. Aber die Investition wird sich lohnen.

Commitment, Motivation, Identifikation – das Corona-Virus kann uns Arbeitgeber, wenn wir diese Lage konsequent aufrichtig überstehen, auf sehr lange Sicht stärken. "In einer solchen Krise entsteht Reputation, oder man zerstört sie", sagte der PR-Manager Bonow, einer unserer Interviewpartner, erst kürzlich der FAZ. 

Worte und Taten

Aufrichtigkeit ist mir bei allem, was wir kommunizieren, am allerwichtigsten. Für mich heißt das: Auf schöne Worte müssen konkrete Taten folgen. Gegenüber den Mitarbeitern und im Austausch mit unseren Kunden.

Ich habe mich in den vergangenen Tagen wieder etwas häufiger gefragt, was für eine Marke ich mit MANDARIN entwickeln und darstellen will. Ich glaube, zurzeit wäre "das Gegenteil von Adidas" eine Beschreibung, die mir gefallen würde.

Das Verhalten vieler anderer Marken hat mich sehr beeindruckt. Mittelständische Unternehmen stellen ihre Fabriken um und produzieren medizinische Schutzausrüstung. Jägermeister spendet Unmengen von Alkohol für die Herstellung von Desinfektionsmitteln. Der Verlag Gruner + Jahr verschenkt seine Magazine und Zeitschriften kostenlos als E-Paper. Noch viele weitere Firmen handeln sozial und helfen. So ein Unternehmen wollen auch wir sein.

Das Beste für die Gemeinschaft

Als mittelständischer Dienstleister ist es unmöglich, Millionenbeträge an karitative Zwecke zu überweisen. Aber wir können trotzdem in unserer unmittelbaren Umgebung das Beste für unsere Gemeinschaft tun. Ein kleines Beispiel: Zuvor boten wir unseren Mitarbeitern zweimal die Woche kostenloses Mittagessen als Benefit an, frisch gekocht bei uns im Haus. Die Lebensmittel, die wir nun sparen, gehen ab sofort an die Tafel. Ich würde mir wünschen, dass andere Firmen das ähnlich handhaben und diesen Benefit nicht einfach streichen, sondern für bedürftige Menschen öffnen.

Unser Know-how vermitteln wir in digitalen Sprechstunden kostenlos an interessierte Geschäftsführer, Gründer, Marketing-Verantwortliche und Personalleiter. Und da wir glauben, dass das Kommunizieren intern und extern nie wichtiger war, steht unser neues Team aus erfahrenen Journalisten, Strategen und Social-Media-Köpfen eher als geplant für alle bestehenden Kunden und hilfesuchenden Unternehmen bereit.

In den vergangenen Tagen und Nächten habe ich viel nachgedacht. Auch über den Schach spielenden Unternehmensberater aus Hamburg. Wenn ich an uns junge Wirrköpfe denke, die ohne die selbstlose Hilfe kaum groß geworden wären, wird mir jedes Mal klar, wie kostbar jede Form von Anschub sein kann. Als robustes Unternehmen sind wir nun als Anschieber gefragt. Und eines ist gewiss: Wir werden ordentlich anpacken.

In diesem Artikel
Kevin Friedersdorf

Ist Gründer und Geschäftsführer der Digitalagentur MANDARIN MEDIEN. Seit September 2018 ist er Herausgeber von GrowSmarter.

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